Es ist wirklich so! Bei einer Atlantiküberquerung im Februar schläft man wie ein Baby. Oder konkreter: wie ein Embryo. Schon nach der ersten Nacht hat Arzum Muskelkater, alle Glieder tun ihr weh. An Schlaf war kaum zu denken, die ersten Stunden verbrachte sie damit, eine Position in der Achterkabine zu finden, in der die Wellen sie nicht andauernd aus dem Bett schleudern.
Zusammengekauert zwischen den seitlichen Kopfteilen, quer zum Bett, hat sie sich schließlich eingeklemmt. Die Beine angewinkelt, die Füße abgestützt am Holz, eine Hand über dem Kopf, festgekrallt an der schmalen Leiste am Schrank.

Irgendwo zwischen den Bettdecken liegt auch Cingene, unsere Bordhündin, den Rücken an der Wand, ihre Pfoten verkeilt in Arzums Rücken. Die Erkenntnis, dass es auch die nächsten Wochen nicht viel anders sein wird, sorgen am nächsten Morgen nicht gerade für Euphorie.
Barfuß im Regen
„Wer hat eigentlich gesagt, so eine Atlantiküberquerung macht Spaß?“, schäumt Arzum mit den Wellen um die Wette, die an die Bordwand der Dilly-Dally platschen wie Backpfeifen und dann in einem Gischtregen im Cockpit niedergehen. „Und das nennt sich Barfußroute?“, echauffiert sich Arzsum weiter. „Naja, barfuß sind wir doch“, ist alles, was mir als Antwort einfällt, und deute auf meine nackten Füße, die aus der regenfesten Segelhose herausluken wie das entsetzte Gesicht einer Schildkröte unter dem dicken Panzer, wenn sich ein Dinghy in Gleitfahrt nähert.
Es ist der 3. Februar 2023, am Nachmittag des Vortags haben wir Mindelo auf den Kapverden verlassen. Unser Ziel ist Barbados, auf der anderen Seite des Atlantiks. 2.003 Seemeilen, das spuckt der Kartenplotter aus, liegen vor uns. Direkter Weg, versteht sich, also plus Halsen vor dem Wind.

Wir rechnen mit 16 Tagen. Mit ein bisschen Glück etwas weniger, wahrscheinlich aber eher mehr. Für den Worst Case haben wir 21 Tage eingeplant – und dementsprechend proviantiert. Freunde von uns, die ein paar Wochen eher gestartet sind, erwischte eine ausgedehnte Flaute einige hundert Meilen vor dem Ziel.
Scheitern einkalkuliert
Als wir im Juni 2022 mit der Dilly-Dally, einer Moody 425 aus dem Jahr 1988, in der Türkei aufbrachen, waren wir voller Träume. Die Abenteuerlust funkelte in unseren Augen, aber im Kopf spukte auch immer der Gedanke der Kapitulation. Wir hatten Segler kennengelernt, die wie besessen waren von einer Weltumsegelung, zumindest aber von der Atlantikpassage, die sie mit Seefahrerromantik verklärten, und jedem, der es wissen wollte, aber auch jenen, die es nicht wissen wollten, lang und breit erklärten, auf was für eine Heldenreise sie sich begeben würden. Odysseus wäre neidisch geworden.
Aber damit setzten sie sich selbst so unter Druck, dass sie ihm nicht standhielten. Oder sie verloren sich in jahrelangen Vorbereitungen und Ausreden, warum es auch in diesem Jahr besser ist, nicht zu starten. Als wir unseren Heimathafen in der Türkei verließen, lautete daher unsere Devise „Karibik oder Kalkan. Hauptsache wir fahren erst mal los“ (Kalkan liegt gerade mal zwölf Seemeilen von Kas, unserem Ausgangspunkt, entfernt).

Kalkan hatten wir nach zwei Stunden passiert, aber die Karibik war immer noch so unendlich weit weg. Wir kämpften länger als erwartet auf dem Mittelmeer mit Stürmen, Gewittern und Reparaturen, die sich wie Lochfraß durch unser Budget schmarotzten. Wir, das waren meine türkische Freundin Arzum, unsere 14-jährige Bordhündin Cingene, Bordkater Oglus und ich. Als in Spanien Oglus eines Tages von seinem Morgenspaziergang nicht mehr zurückkam und Arzum ihn tot im Hafenbecken fand, schien die Reise beinahe beendet.
Aber wir berappelten uns noch einmal. Und segelten weiter Richtung Atlantik. Das große Abenteuer vor unseren Augen, mit denen wir zuvor so viele Bilder von Atlantikpassagen geschaut hatten. Bilder vor blauem Himmel, mit sanften Wellen, stolz geblähten Segeln und fröhlich dreinschauenden Seglern in Badeklamotten. Bilder von zusammengekauerten Menschen in Embryostellung unter Deck waren nicht dabei.
Starke Crew
Die Wahrnehmung von Wetter, Wind und Wellen liegt natürlich immer im Auge des Betrachters. Und so ist das, was für die einen bereits zu viel ist, für andere gerade gut genug. Auf der Atlantikpassage haben wir Verstärkung an Bord. Da ist zum einen Carl, ein 19-jähriger Berliner, den wir als Anhalter auf den Kanaren aufgegabelt haben. Und dann ist da Kai-Uwe, ein alter Freund aus Strandsegeltagen, ein gelernter Bootsbauer von Norderney, dessen Traum es immer schon war, einmal den Atlantik zu queren. Auf den Kapverden verstärkte er die Crew.

Wenn Arzum das eine Extrem auf unserer Atlantikpassage ist, ist Kai-Uwe das andere. Ein Dauergrinsen scheint ihm ins Gesicht gemeißelt, und je mehr Wind und Welle, um so breiter wird es. Während Arzum bei Squalls und 40 Knoten Wind hadert, die Wellen verflucht und den Regen beschimpft, hat Kai-Uwe meist nur fünf Worte auf den Lippen: „Das ist ja so geil!“
Angekratzte Stimmung
2.000 Meilen über den Atlantik, das ist eine lange Strecke. Und sehr viel Zeit. Zeit genug jedenfalls, sich mit dem Schicksal zu arrangieren, seinen Rhythmus zu finden, seinen Platz an Bord. Und auch viel Zeit, sich gegenseitig erst auf die Nerven und dann an den Kragen zu gehen. Wochenlang eingesperrt auf wenigen Quadratmetern, unter widrigen Bedingungen, mit Schlafmangel und vielleicht auch Angst und Seekrankheit, das kehrt nicht nur die positiven Seiten eines Menschen ans Tageslicht.
Marotten, die unter normalen Bedingungen kaum auffallen, umkreisen die Gedanken der anderen wie Motten das Licht: Hat er schon wieder zu lange das Wasser laufen lassen? Hat er wieder die Spüle vollgekrümelt? Hat er wieder nicht ausreichend die Toilette gepumpt?
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