Eine gute Nachricht für alle Freunde der Traditionssegler: Sail Training ist jetzt offiziell Teil des immateriellen Kulturerbes in Deutschland. Damit wird die seglerische Ausbildung auf großen Traditionsseglern, das Aufentern und Brassen, nun als Kulturgut anerkannt. So wie schon das Pflasterer- und Steinsetzer-Handwerk, die Posaunenchöre der evangelischen Kirchen oder die Passionsspiele von Oberammergau.
Dazu wollen Schinzer und seine Mitstreiter sämtliche Partnerorganisationen im Ausland motivieren, ebenfalls die Aufnahme in ihr jeweiliges nationales immaterielles Kulturgut anzustrengen. „Nach meinem Wissen ist die deutsche Sail Training Association die erste, der das gelungen ist“, sagt der Vorsitzende der STA-G. Insgesamt gibt es weltweit aktuell mindestens 17 Sail Training Associations, überwiegend in Europa und Nordamerika.
Allein in Deutschland gehören nach Schinzers Aussage 40 Traditionssegler dem Netzwerk an, auf denen bis zu 14.000 Ehrenamtliche regelmäßig unterwegs sind. Sie bringen auf zahllosen Törns in Küstengewässern und rund um die Welt den sogenannten Trainees – zahlenden Gästen – das traditionelle Rahsegel-Handwerk bei. Schinzer: „Allein die Alexander von Humboldt II hat auf jedem Törn um die 50 Trainees an Bord.“ In diesem Jahr sind 35 Ausfahrten in ihrem Törnplan. Seit 2021 ist die Alex II auch unter dem Motto „Class afloat“ als segelndes Klassenzimmer unterwegs.
Wird Brauchtum nicht mehr gebraucht?
Eine starke Gemeinschaft also, die durch den UNESCO-Ritterschlag immaterielle Anerkennung erhält. Oder gleicht das eher einer Verlagerung ins Museum? „Was man nicht mehr braucht, das macht man zu Brauchtum“, lautet ein populärer Kalauer, der einen Kern Wahrheit enthält: Hat es eine kulturelle Spezialität erst in die Brauchtumspflege geschafft, deutet es darauf hin, dass sie im täglichen Leben der Menschen keine Rolle mehr spielt. Steht das auch dem Sail Training bevor?
„Sail Training auf Traditionsschiffen ist auf jeden Fall schützenswert“, entgegnet Schinzer. Gerade für Jugendliche stelle diese Ausbildung eine unersetzliche Möglichkeit zur Persönlichkeitsbildung dar. „Erziehung durch die See“, nennt der Seemann das. Die Fähigkeiten, auch auf engstem Raum, trotz Seekrankheit und wenig Schlaf, zum verschworenen Team zu werden und gemeinsam das Schiff zu rocken, vermitteln nur die Sail Training Associations.
Schinzer weiß, wovon er spricht: 25 Jahre war er Teil der Stammcrew an Bord der ersten Alex, davon lange als Steuermann. Inzwischen hat der 76-Jährige abgemustert, segelt aber privat eine Kielyacht vom Typ Jouet 28 an der Nordseeküste.
Werbung um Trainees und Sponsoren
Was erhofft sich die Sail Training Association Germany außerdem von der Listung im Kulturerbe? „Gleich mehrere Dinge“, so Schinzer eifrig. Neben der Anerkennung für die vielen Ehrenamtlichen erwartet er auch einen gewissen Werbeeffekt für die Traditionssegler: „Wir dürfen ja jetzt das offizielle Logo führen.“ Ähnlich wie beim sichtbaren UNESCO-Weltkulturerbe erhöht die Auszeichnung die Sichtbarkeit.
Auch bei politischen Gremien erhofft sich der Vorsitzende der deutschen STA-Sektion mehr Aufmerksamkeit. Die hätten die Segel-Oldtimer auch nötig: Oftmals würden sie in der Diskussion vergessen, wenn es zum Beispiel um neue Sicherheitsvorschriften geht. So wurde die Neufassung der Schiffssicherheitsverordnung (SchSV) vor einigen Jahren erst nach den Protesten der Traditionssegler angepasst und ein staatlicher Fördertopf für Umbauten eingerichtet.
Wären die ursprünglichen strengen Anforderungen an sicherheitsrelevante Umbauten durchgesetzt worden, zum Beispiel ein Kollisionsschott im Rumpf oder feuerbeständige Niedergänge, hätte das viele der kleinen Vereine finanziell überfordert. Schinzer: „Die Anerkennung als immaterielles Kulturgut könnte auch dazu führen, dass sich der ein oder andere private Sponsor findet.“