Der Mann muss hinaus in die Ferne, denn „dort, wo man lebt, scheint alles viel zu klein“. Das wusste schon Freddy Quinn. Und fährt ein weißes Schiff nach Hongkong, so treibt es den Mann, ein frohes Lied auf den Lippen, seit jeher auf See: „Da zieht man in die Fremde und fragt nicht lang, wie wird die Zukunft sein.“ Vor ihm liegt der Ozean, endlose Projektionsfläche für Verheißungen aller Art, denen das männliche Geschlecht gern erliegt.
Ernest Hemingways alter Mann auf dem Meer dachte an die See immer nur als an „la mar, so nennt man sie auf Spanisch, wenn man sie liebt. Manchmal sagt einer, der sie liebt, böse Dinge über sie“. Zum Beispiel, wenn der gewaltige Thunfisch, mit dem der Fischer drei Tage lang gerungen hat, von den Haien gefressen wird: „Aber er sagt es immer, als ob es sich um eine Frau handle.“
Der Mann: je sturer, desto heldenhafter
Der einsame Zweikampf mit dem Fisch erscheint wie der ewige Kampf des Menschen, des Mannes mit der Natur – je sturer, desto heldenhafter. So ist der alte Mann nach dem sinnlosen Kräftemessen mit den Flossenträgern nicht verbittert, sondern geläutert: Prüfung bestanden.
Christoph Kolumbus stach in See, um die eigenen Schulden in sicherer Entfernung zu wissen. Viel zu verlieren hatte er nicht mehr, egal, wo die „Santa Maria“ anlegen würde. James Cook umrundete den Globus gleich dreimal und bekam schließlich auf Hawaii den Schädel eingeschlagen. Warum fährt einer weiter als je ein Mensch zuvor, um am anderen Ende der Welt den Tod zu finden?
Das Meer, das seit römischem Recht – „mare commune omnium est“ – allen gehört, erscheint für boat people, also Pilgervätern wie Flüchtlingen aus Nordafrika und Mittlerem Osten als Königsweg zu Wohlstand und Freiheit. Am Horizont lockt außer Reichtum auch das Abenteuer: Mal nachsehen, ob die Erde nicht doch eine Scheibe ist.
Der Wirtsjunge Jim Hawkins lässt sich durch eine Landkarte zur Schatzinsel von Piratenkapitän Flint locken. Das markiert den Beginn einer wunderbaren Männerfeindschaft zwischen Jim und Long John Silver, dem einbeinigen Schiffskoch. Als keine neuen Ufer mehr da waren, tauchten Ozeanologen wie Hans Hass und Jacques Cousteau in die Geliebte ein, Haien und dem Rochen Manta hinterher.
Was trieb Diogenes im Fass, den französischen Fallschirmspringer Jean-Jacques Savin, ohne Motor auf Kollisionskurs mit Frachtern auf den Atlantik, und was den Polen Aleksander Doba gleich dreimal über den Ozean, und das im Kajak – beide mit mehr als 70 Jahren auf der Lebensuhr?
Endlose Weiten bietet heute allein das All
Ist es nur Zufall, dass der Kommandant der USS Enterprise aus Star Trek Next Generation denselben Nachnamen trägt wie Tiefseeforscher und Tauchrekordhalter Jacques Piccard? Hier läuft männlicher Entdeckerdrang auf Grund, endlose Weiten bietet heute allein das All. Rund um die Raumstation schaukeln allerdings keine sanften Wogen mehr.
Freiheit, Überblick und Einsamkeit, die komplette Loslösung von irdischer Last wird mit einem Schwebezustand erkauft, der Männern eigen ist – in einer ewigen orbitalen Kreisbahn zwischen Fliehkraft und Erdanziehung, die Meere, Symbol für das Leben, fest im Blick und unerreichbar.
Ein Mensch, der zur See fährt, segelt im Windschatten mächtiger Mythen; Helden, an deren starke Schultern man sich lehnen kann – vorausgesetzt, man ist Mann. Wirklich?