Statt der geplanten Pressekonferenz, die wegen der Corona-Pandemie abgesagt wurde, haben wir ein ausführliches Telefoninterview mit Boris Herrmann über die neuen Bedingungen für sein Rennteam Malizia geführt. Der Lockdown wegen der Coronakrise trifft auch die Teams der Vendée Globe 2020 hart.
float: Boris, das Letzte, was Du auf Facebook gepostet hattest, war das Video vom Umbau der Malizia. Wie weit seid ihr jetzt?
Boris Herrmann: Wir sind jetzt zu 98% fertig. Leider ist es drei Wochen zu spät, um noch vor dieser Corona-Krise ins Wasser zu kommen. Wir sind dem Lockdown unterworfen und auf unabsehbare Zeit im Standby-Modus.
Wir haben nach dem Transat Jacques Vabre Anfang Dezember angefangen und haben wie die Verrückten am Schiff gearbeitet – die meisten Wochenenden, jeden Tag mit einer Gruppe von mehr als zehn Leuten. In Spitzenzeiten waren es bis zu 20. Wir haben uns extrem viel Mühe gegeben, unseren Zeitplan einzuhalten. Geplant war, am 6. April ins Wasser zu gehen. Jetzt ist ein großer Teil der Mannschaft nach Hause geschickt worden und die Zulieferbetrieb machen zu. In Frankreich gibt es die Ausgangssperre.
Das ist wirklich bitter. Wie ergeht es den anderen Teams?
Von „so“ bis „so“, kann man sagen. Es trifft alle schwer, denn auch wenn das Boot im Wasser ist, können wir nicht sinnvoll trainieren. Man kann nicht mehr reisen. Und es ist fraglich, welche Häfen man überhaupt anlaufen darf, wenn man ein Problem mit dem Schiff hat.
„L’Occitane en Provence“ ist ein Neubau von Armel Tripon, der ist im Wasser. Da sieht man zwischendurch auch das ein oder andere Foto in den sozialen Netzwerken. Die sind gerade rechtzeitig in Fahrt gekommen.
„DMG Mori“ gehört ja einer deutschen Firma mit japanischen Skipper, die seit letztem Jahr einen Neubau haben. Die waren schon im Februar im Wasser. Sie waren gerade auf See auf dem Weg nach Cascais in Portugal in ihr Trainingslager, als sich alles so richtig zugespitzt hat. Das wird für die Mannschaft auch eine Herausforderung, die können ja nicht mehr hin- und herfliegen.
„Maître CoQ IV“ ist gerade ins Wasser gegangen, als der Lockdown kam und wird jetzt im Hafen still liegen. Die „Bank Populaire“ wurde – der Kran stand schon bereit – wieder in die Halle zurückgeschoben. Das konnten wir direkt von unserer Halle aus beobachten.

Wie ist denn die Stimmung in dieser Situation?
Die Stimmung ist gemischt. Es ist ja in gewisser Weise wie eine Entschleunigung. Wir waren in den letzten Wochen in einem Rennen gegen die Zeit, weil wir am 10. Mai am Transat CIC teilnehmen wollten, was sicherlich nicht stattfinden wird. Wir hatten uns zehn Trainingstage im April vorgenommen – plus einigen Techniktagen, um die Umbauten wirklich validieren und perfekt einstellen zu können. Und dann sollte es losgehen. Dieser ganze Zeitplan hat sich nun in Luft aufgelöst.
Ich habe das Gefühl, seit sechs Jahren zum ersten Mal wieder durchatmen zu können.
Wenn dieser Riesendruck von einem abfällt, hat das auch was Erleichterndes. Aber es ist auch eine große Enttäuschung! Die viele Energie, das viele Geld, das wir in das Projekt reingesteckt haben, ist verpufft. Ich frage mich: Wo ist die Grenze des „immer besser“ und „immer mehr“? Darüber können wir alle in diesen Tagen mal nachdenken.
Als Rennteam steckt man natürlich noch viel mehr in dieser Logik: Das beste und schnellste Schiff, das beste Team – alles perfekt vorbereitet. Stell dir vor: Wir haben jetzt schon den Proviant fürs Vendee Globe gekauft und fertig verpackt. Wir sind vorbildlich unterwegs!

Was tust du denn jetzt mit der vielen Zeit?
Zum ersten Mal haben ich ein bisschen mehr Zeit für meine kleine junge Familie, und wir richten uns auf diese Zeit ein, die wir mehr zu Hause sein werden. Wir erwarten ja im Juni ein Kind, und da ist es ja schön, auch ein bisschen mehr Zeit für sich zu haben.
Auf der anderen Seite verfolge und koordiniere ich die technischen Vorgänge aus der Distanz. Jetzt mussten wir eben entscheiden, was wir mit den fast fertigen Foils machen: Sicherheitshalber haben wir sie schnell noch abgeholt bei Multiplast. Wer weiß, wann dort der Betreib wieder aufgemacht wird.

Wie reagiert die Rennleitung der Vendée Globe?
Sie haben erstmal noch ein Vorrennen auf der Uhr und zwar von New York nach Les Sables-d’Olonne. Der Start ist für den 14. Juni geplant. Ich gehe aber fest davon aus, dass man die Flotte nicht rechtzeitig in New York versammeln wird.
Die Teams kommen wahrscheinlich gar nicht rechtzeitig ins Wasser. Wir hoffen in unserer Klasse, dass wenigstens dieses eine Rennen zur Vorbereitung noch stattfinden wird. Die Entscheidung dazu fällt in zwei Wochen.
Ich denke, ein Rennen mit Start und Ziel in Europa oder eine große Atlantikrundfahrt in Frankreich wären gut. So können wir uns alle noch mal sinnvoll vorbereiten und messen. Wir arbeiten jetzt in langsamerem Tempo am Boot weiter. Ich hoffe, dass es dann bis Mai segelfertig ist und wir im Juni so ein Rennen segeln können.

Im Moment geht es ja einzig darum, dass wir diese Pandemie so gut wie möglich überstehen. Dem unterliegt alles. Was wäre, wenn auch die Vendée Globe ab November nicht stattfinden kann?
Ich hoffe, dass sich die Lage bis November wieder stark beruhigt hat. Wenn nicht, haben wir eh ganz andere Probleme. Wenn die Krise zu lange dauert, wird es viele Sponsoren treffen. Und viele Teams werden aus finanziellen Gründen nicht teilnehmen können.