Wer war Hans Wax? So richtig weiß das keiner. Selbst diejenigen, die vor gut 50 Jahren eines der begehrten Rennboote bei dem DDR-Unternehmer kauften, hatten keine Ahnung, wen sie da vor sich hatten.
Der stämmige Mann, dem stets eine qualmende Zigarette im Mundwinkel klemmte, war nicht immer erfolgreicher Bootsbauer in Ostberlin gewesen. Als Hans Wax 1961 in die DDR kam, geschah das nämlich nicht ganz freiwillig. Er war sozusagen geflüchtet.
Anfänge im Autobau
Die Anfänge des hoch begabten Konstrukteurs, der 20 Jahre lang ein schräges Spiel mit der Staatssicherheit der DDR trieb und die Mächtigen der sozialistischen Diktatur mit PS-starken Spielzeugen versorgte, liegen im Autobau.

Nach dem Krieg hatte Wax, Jahrgang 1927, eine Autowerkstatt in Berlin-Charlottenburg eröffnet. Dort machte er sich einen Namen beim Umbau und Tuning von Sportwagen. Speziell die italienische Marke Alfa-Romeo hatte es ihm angetan, Wax fuhr selbst in den 1950er-Jahren aufgemotzte Alfas auf dem Nürburgring und diversen anderen Rennstrecken.
Das Abenteuer lockt
Der kreative Bastler beließ es allerdings nicht bei legalen Aktivitäten: Er soll auch an Schwarzmarktgeschäften und Diebstählen beteiligt gewesen sein. Offenbar war Wax nicht ausgelastet, ihn lockte das Abenteuer – egal welcher Art. Wie er mit dem DDR-Geheimdienst in Kontakt kam, ist nicht belegt.
In Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wird beschrieben, aufgrund seiner kriminellen Aktivitäten sei eine Flucht in die Ostzone notwendig geworden. Andere Quellen dagegen deuten an, er habe familiäre Bindungen zum höchsten Kreis der sozialistischen Führung unterhalten – die Jahrzehnte lang eine schützende Hand über ihm ausbreiteten.

Kapitalbedarf wächst
Belegt ist: Wax brauchte Geld für sein Hobby, den Rennsport. Viel Geld. Da kam die Stasi als Sponsor gelegen. Ab 1955 wird Wax als Geheimer Mitarbeiter (GM) „Donner“ des MfS geführt. Der Deckname war nicht aus der Luft gegriffen: Wax hatte ein ausgesprochenes Faible für Sprengstoffe, er nutzte auch bevorzugt schlagkräftige Einsatzmittel für seine – oftmals selbst gestellten – Aufgaben.
„Lieber hundert Prozent Sprengstoff mehr als zu wenig“, soll sein Motto gewesen sein. Gelernt hat Wax dieses Handwerk noch im Krieg, unter anderem als junger Rekrut bei der SS. Nach dem Zusammenbruch setzt er das Abenteuer fort, für einen neuen Auftraggeber. Als nützlicher Haudrauf des MfS.
1958 sprengt er eigenhändig den Radiosender „Freies Russland“ in Rheinland-Pfalz – dabei wird das halbe Haus weggerissen. Dass die Sendeanlage kurz darauf mit US-Hilfsgeldern wieder aufgebaut wird, irritiert Wax nicht. Ihm kommt es offenbar auf den Kick an, Politik scheint zweitrangig.

Eigenhändig geknackt
Das suggerieren weitere Abenteuer, die er undercover in der Bundesrepublik durchführt: etwa die Entführung eines dänischen Diplomaten und Geheimdienstlers mit vorgehaltener Pistole oder der Diebstahl eines ganzen Inventars von Panzerschränken des US-Militärgeheimdienstes MIS (Military Intelligence Service) aus Würzburg. In den Safes, die Wax auf der Rückreise eigenhändig knackt, sind die Karteikärtchen zahlreicher V-Leute in der DDR verstaut.
Für die Stasi ein großer Fang, kurz darauf verschwinden 140 Informanten der Amerikaner in ostdeutschen Gefängnissen. Und Wax erhält einen Orden. Doch Ruhm und Ehre werden einem anderen zuteil: Sein Mittäter Horst Hesse alias „GM Blitz“, mit dem er schon seit Jahren Dinger ausbaldowert, darf die Großtat vor der internationalen Presse verkünden. So was wurmt Wax.
Der Kumpan gibt auch das Vorbild für den Agenten „Hansen“, der 1963 als Held im Spionage-Thriller „For Eyes Only“ in die DDR-Kinos kommt. Darin raubt der Geheimdienstler allerdings keine Agenten-Kartei, sondern im Sinne der DDR-Propaganda die Angriffspläne der NATO-Imperialisten – und rettet damit im 007-Stil des ebenfalls Boot fahrenden James Bond den Sozialismus vor den bösen Imperialisten.

Neue Attentatspläne
Wax schmiedet seinerseits Angriffspläne: Angeblich hat er seinen Führungsoffizieren 1958 ein Sprengstoffattentat auf einen NATO-Flugzeugträger vorgeschlagen. Auch der geplante Mordanschlag auf einen abtrünnigen Stasi-Mitarbeiter, der im Westen ein neues Leben begonnen hat, ist dokumentiert. GM „Donner“ entwickelte die teuflische Idee, dessen Moped mit einem Sprengsatz zu versehen, um den Verräter zuverlässig zu liquidieren. Wax hat zwei Gesichter. Und für sein Ziel geht er buchstäblich über Leichen.
Der Mordplan wird jedoch aufgegeben, weil einer der Verschwörer kurz vorher auffliegt und man befürchtet, er würde die anderen ausplaudern. Doch viele Husarenstückchen führt der Haudrauf kaltblütig und eigenhändig durch, ohne erwischt zu werden. Das Genick bricht ihm jemand anders: er selbst.
Sponsoring vom MfS
Denn der Rennsport ist teuer, und nennenswerte Einkünfte lassen sich nicht gegenrechnen. Zugleich finanziert das MfS das bourgeoise Hobby ihres Bombenlegers mit einer sechsstelligen Summe – in Westmark! Doch dessen Schulden wachsen in unerreichbare Höhen, und langsam wird der Stasi ihr Mann in Westberlin zu heiß.

Anscheinend befürchtet man, dass er gegen bare Münze die Seiten wechselt. Und so macht Wax, wie viele seiner Landsleute, bei Nacht und Nebel rüber. Nur nicht von Ost nach West, sondern umgekehrt. Angeblich erfährt nicht einmal seine Ehefrau von der Flucht wenige Monate vor dem Mauerbau 1961.
In Ostberlin baut er sich – erneut mit kräftiger Finanzhilfe der Staatssicherheit – einen Betrieb auf. Kfz-Technik Biesdorf (KTB) heißt er, und anfangs repariert und frisiert „Donner“ dort vor allem schwere Limousinen (Mercedes, Jaguar und andere) für operative Maßnahmen des DDR-Geheimdienstes. Dazu gehören Panzerungen, beschussichere Reifen und ein paar PS mehr für den Fall, dass die Imperialisten Lunte riechen und eine schnelle Heimreise hinter den Eisernen Vorhang notwendig wird.