Wax beginnt Bootsbau
Hier hätte das Thema Wax enden können, doch er war der Alte geblieben: „Der Mann gab einfach nie Ruhe.“ Das erzählt ein alter Freund von ihm: Werner Krautzig besaß in den 1960er-Jahren ein hölzernes Motorboot, bei Wax lernte der Konditormeister mit Wassersport-Passion die Vorzüge des GfK-Leichtbaus kennen.

Der Konstrukteur hatte in West-Berlin bereits selbst gebaute Kunststoff-Karosserien auf Alfa-Fahrgestelle montiert und – mit wenig Erfolg – als eigene Wax-Alfa angeboten. 30 Kilometer weiter östlich ging sein Traum in Erfüllung: Unter dem Namen Wax erwuchs eine eigene Marke, die heute zu den raren Klassikern der DDR-Bootsbaukunst gehören – und sie verkaufte sich. Werner Krautzig legte sich eines der offnen Boote zu. 10.000 Ostmark kostete der Rumpf damals, ein Witz im Vergleich zu Westprodukten.
Motor aus dem Westen
„Den Motor hat er mir auch gleich besorgt.“ Einen Evinrude mit 125 PS bekam Krautzig von Wax. Eine Maschine, die es offiziell in der DDR gar nicht gab. Der Bootsbauer erhielt auch die besten Werkstoffe, soll im Westen regelmäßig groß eingekauft haben.
In der Szene erzählt man sich auch die Story davon, dass der Ruhelose eines Nachts zum Grenzübergang Dreilinden gefahren sei, wo ein Westlaster mit Sea-Ray-Yachten stand. Die Fracht war unter einem Vorwand angehalten worden. Wax soll in aller Seelenruhe einen Abguss eines Bootsrumpfs der US-Marke gemacht haben, dann durfte der Lkw weiter nach Westberlin rumpeln.

Der West-Ost-Flüchtling entwickelte mehr als zehn eigene Modelle – viele davon „inspiriert“ von bekannten West-Produkten. „Wer sich im Osten ein bisschen abheben wollte, der musste so was haben“, sagt Oliver Gehrke. Der 44-jährige Berliner besitzt eine Wax Sprint, ein offener Daycruiser in eleganter Zweifarb-Lackierung.
Kunden bei der Firma
„Mein Opa hatte eines, von einem Wax-Mitarbeiter gebraucht gekauft.“ Wie in vielen Betrieben üblich, durfte sich jeder bei dem Bootsbauer seinen eigenen Rumpf mitnehmen. Ansonsten kamen die volkseigenen Wax-Boote selten unters Volk: „Die meisten gingen an Leute von der Firma“, sagt Gehrke augenzwinkernd. Mit „Firma“ war zu Ostzeiten die Stasi gemeint …
Wax baute mit dem Geld der Firma Boote für Führungskräfte der Firma. Ein seltsames Geschäftsmodell. Doch auch an Patrouillenbooten für die Grenztruppen und die DDR-Volksmarine soll sich sein charakteristisches Design wiederfinden. Und auch andere DDR-Werften bauten – so hört man oft hinter vorgehaltener Hand – seine Typen irgendwann nach.

Ein Grund, weshalb es heute schwierig ist, eine Original Wax zu finden: Die meisten sind Kopien. „Er ist auch privat häufig nachgemacht worden“, erzählt Gehrke. Viele Wassersportfreunde hätten sich seine Designs im heimischen Schuppen „nachgetuppert“. Es gab ja nichts. Gehrkes Sprint ist die Authentizität auf den ersten Blick am Original-Logo mit der Aufschrift „KTB“ (Kraftfahrzeugtechnik Biesdorf) und „DDR“ sowie den West-Beschlägen anzusehen.
Ware vom Klassenfeind
Die hohe Fertigungsqualität spricht für Wax‘ Selbstverständnis: Seine Boote haben eine doppelte Schale, der Bug wird durch Schaumfüllung zum Auftriebskörper, im Heck sorgt ein Stahlrahmen für zusätzliche Festigkeit. Bis zu 80 km/h schafft der kleine Flitzer, sagt Gehrke. Die Frontscheibe stammt vom DDR-Pkw Wartburg, die Beschläge sind ebenso wie GfK-Matten Westware.
Wax soll regelmäßig Lieferungen vom Klassenfeind bezogen haben. Gehrke: „Als Privatmann haben Sie in der DDR nur Sch… gekriegt.“ Die exklusive Ausstattung hat aber ihren Preis: Offenbar gelingt es Wax auch in der DDR nicht, kostendeckend zu fertigen. Erneut muss das MfS seinen Ehren-Agenten großzügig unterfüttern.

„Musst Du nicht wissen“
Im Gegenzug hält sich Wax an sein Schweigegelübde. „Ich habe ihn mal gefragt, was er früher so getrieben hat“, sagt Krautzig achselzuckend. Die mürrische Antwort: „Musst Du nicht wissen.“ Ein Treffen ist dem alten Berliner in besonderer Erinnerung geblieben: Der Konditormeister besuchte Hans Wax Ende der 1970er-Jahre zum Geburtstag und überreichte ihm eine Torte aus eigener Fertigung.
„Torten liebte er – er hat es geschafft, eine Dreiviertel-Torte auf einen Sitz zu essen.“ Als er dem pfundigen Bootsbauer im Betrieb gegenüberstand, fuhren auf einmal diverse Bonzen in chromglänzenden Tschaika-Limousinen vor. Wax’ Miene verfinsterte sich augenblicklich: Er habe keine Zeit für die, stieß er hervor.
„Er sagte zu mir, ich solle mich um die Herren kümmern.“ Und verschwand. So konnte sich nur jemand aufführen, der sich der Protektion von oberster Stelle sicher war. Krautzig tat sein Möglichstes. Am Ende habe sich der hohe Besuch mit Krautzig unter Zuhilfenahme von reichlich Alkohol politische Witzchen erzählt …