„Noch vor wenigen Jahren wurden im Mittelmeer kaum Segelyachten gestohlen“, sagt der Fahnder. Diebe konzentrierten sich eher auf hochpreisige Motoryachten, die auf Bestellung entwendet wurden. Mit Beginn der Flüchtlingswelle habe sich das geändert.
Halb zerstörte Yachten
Der Schweizer Segelaussteiger Oliver Didier Zachus, der mit seiner Familie durch das Mittelmeer segelt, war vor wenigen Wochen an der italienischen Südküste. In mehreren Häfen hat er gestohlene Yachten entdeckt, mit denen Flüchtlinge nach Italien gebracht wurden.
„Die Boote“, berichtet Zachus, „sind nur notdürftig in den Häfen festgemacht.“ Teilweise stünden die Luken auf, wären nicht einmal die Fender ausgebracht. „Nach ein oder zwei Wochen mit schwerem Wetter sind die Boote halb zerstört.“ Zachus wundert sich, warum die Eigner nicht informiert würden und ihre Boote sicherten. Er erinnert sich an deutsche, belgische und US-Flaggen.
Der MCS-Fahnder kennt das Problem. Auch wenn jedes Boot registriert ist, ist es für die Behörden nicht einfach, die Eigner ausfindig zu machen. „Es gibt bei Booten kein einheitliches Register – wie beispielsweise bei Autos.“ Der internationale Datenaustausch bei gestohlenen Booten sei katastrophal. Deshalb gebe es auch keine offiziellen Zahlen, wie viele Yachten gestohlen würden.

Allein in Deutschland gebe es mehrere Möglichkeiten, sein Boot zu registrieren, über den DSV, den Motoryacht-Verband, den ADAC und auch die Wasser- und Schifffahrtsämter. Und in den Niederlanden könne jeder, auch Ausländer, das Boot registrieren. Sogar an Automaten in Postfilialen. Innerhalb des Schengenraums habe sich der Datenaustausch zuletzt zwar etwas verbessert, auch erfasse Interpol seit kurzem gestohlene Yachten, aber kaum jemand habe Zugriff auf die Daten.

Eine Viertelmillion pro Fahrt
Dass der Menschenschmuggel mit Yachten in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat, bestätigen auch die italienischen Behörden. Gegenüber der Tagesschau sagte im Sommer ein Offizieller aus Brindisi, pro Woche kämen durchschnittlich ein bis zwei Yachten mit manchmal 50 oder mehr Flüchtlingen an Bord in seinem Bezirk an. Für die Menschenschmuggler, meist Banden aus der Ukraine oder Russland, ein gigantisches Geschäft. Laut dem MCS-Fahnder, der sich auf Informationen aus Polizeikreisen beruft, zahlten die Flüchtlinge zwischen 3.000 und 4.000 Euro für eine Passage.
Andere Quellen berichten sogar von 5.000 bis 7.000 Euro. „Die Faustformel lautet“, so der Fahnder, „pro Fuß Bootslänge zwei Flüchtlinge“. Mit einer Fahrt, von Griechenland nach Italien, oder der Türkei auf eine griechische Insel, können die Kriminellen schnell eine Viertelmillion Euro oder mehr verdienen. Die Gefahr, von der Küstenwache oder den Booten der Grenzschützer von Frontex entdeckt zu werden, ist gering. In der Masse der Freizeitsegler fallen die Yachten kaum auf, außer sie liegen ob der menschlichen Fracht zu tief im Wasser.
Das Live-Video vom 1. September zeigt die Ankunft von 35 kurdischen, iranischen und irakischen Migranten, die vom Hafenmeister in Santa Maria de Leuca an Land geschleppt und der Guardia di Finanza übergeben wurden.Aber selbst bei zehn bis 15 Geflüchteten an Bord, ist der Schmuggel noch lukrativ. Im Fokus der Schleuser stehen auch Boote, die zum Verkauf angeboten werden. Wie vor drei Jahren in Kaş an der türkischen Südküste. Da gaben die Schleuser vor, sich für eine Yacht zu interessieren, inspizierten sie. So waren sie vertraut mit dem Boot, wussten, dass kein AIS-Positionssystem an Bord war. In der Nacht stahlen sie die Yacht. Dank der Aufmerksamkeit der Marina konnte die Yacht aber wenig später mit Kurs Rhodos aufgebracht werden. An Bord waren der Schmuggler und zwölf syrische Flüchtlinge.
Diebesbande aus Moskau
Aber nicht alle gestohlenen Yachten werden für den Transport von Flüchtlingen eingesetzt. Auch der „klassische Diebstahl“ boomt wieder. Der MCS-Fahnder berichtet von einem Markt für gestohlene Yachten in Russland. Wenn die gestohlenen Yachten einmal die Dardanellen erreicht hätten, sagt der Fahnder, seien sie quasi verloren.
Denn ein Gesetz aus dem Jahr 1936, der Vertrag von Montreux, regelt den freien Schiffsverkehr zwischen der Meerenge der Dardanellen im Westen des Marmarameeres bis hin zum Bosporus im Osten. Die Passage gilt als internationaler Schifffahrtsweg. Die türkischen Behörden haben nur ein eingeschränktes Handlungsrecht und müssen, bis auf wenige Ausnahmen, freie Durchfahrt gewähren. Sind die Yachten einmal in Russland oder der Ukraine angekommen, sei es fast unmöglich, sie zurückzuholen, sagt der Fahnder.
Wie im Fall einer russischen Diebesbande, die im August in Moskau aufgeflogen ist. Die achtköpfige Gruppe um einen ehemaligen Marineoffizier soll seit vier Jahren im Mittelmeerraum aktiv gewesen sein. Knapp 100 Bootsdiebstähle gehen laut Interpol auf ihr Konto, nur sechs der Yachten konnten aber sichergestellt werden.
Wie die türkische Zeitung „Istanbul Haber“ berichtete, hatte die Gruppe in Marmaris am 13. Juli eine zwei Millionen Dollar teure 64-Fuß-Segelyacht gechartert, das Positionssignal ausgebaut und auf ein Beiboot montiert. Somit wurde dem Vercharterer vorgegaukelt, die Yacht befände sich noch in der Nähe von Marmaris, dabei hatte sie die türkischen Gewässer längst verlassen. Als die Charter am 19. Juli endete, schaltete das Unternehmen die Küstenwache und Interpol ein. Die Russen waren zu diesem Zeitpunkt längst zurück in Moskau. Doch die Ermittler konnten die Bande ausfindig machen.

Menschenschmuggel mit Charteryachten
Der Menschenschmuggel mit Yachten beschränkt sich nicht nur auf gestohlene Yachten. „Beliebt bei den Schleusern ist auch der Chartermarkt“, sagt der MCS-Fahnder. Im Regelfall würden die Yachten gechartert, für den Schmuggel genutzt und wieder ordnungsgemäß abgegeben. Ein ehemaliger Mitarbeiter einer Basis im türkischen Marmaris bestätigt das. „Wofür die Yachten verwendet wurden, war allen relativ klar“, sagt er.
Die Kunden, meist zu zweit, kamen aus der Ukraine, mieteten gängige Modelle um die 40 Fuß, mehrmals in kurzen Abständen für eine Woche, brachten sie oft aber schon nach wenigen Tagen zurück. „Die Yachten waren sehr verdreckt. Es war klar, dass nicht nur zwei Leute an Bord waren. Aber Hauptsache, die Yachten fuhren Geld ein. Also wurde weggeschaut.“
Nicht immer aber werden die Charterboote ordnungsgemäß zurückgebracht. Der MCS-Fahnder hatte es in diesem Jahr mit mehreren Fällen zu tun, in denen die Yachten entweder mit angeblichem Motorschaden irgendwo hinterlassen wurden oder aber sogar gesunken sein sollten. In allen Fällen hatten sich die Chartergäste abgesetzt. Und noch eine Parallele gibt es: In vielen Fälle hatten die Schmuggler zum gleichen Zeitpunkt in einer Segelschule im russischen Sankt Petersburg ihre Segelscheine erworben.