Sie reisen per Anhalter: Mit dem Boot, zu Fuß oder auf dem Pferd, mit dem Rad, Bus oder Zug, über’s Meer, über alle Berge, aber niemals durch die Luft. In ihren Rucksäcken ist alles, was sie brauchen. Wir haben über Lisa und Julia schon im Februar berichtet – zwei Tramperinnen zur See, die per Anhalter über den Atlantik segelten. In Tobago in der Karibik gingen sie an Land. Wie es weiterging?
Sie fuhren von Tobago mit einem Frachtschiff nach Trinidad und mit der Fähre nach Güiria in Venezuela. Dann ging es weiter mit dem Bus, 1.500 km nach Kolumbien, das sie tramptend durchquerten. In Ecuador starteten sie ihr nächstes Abenteuer: Sie fuhren mit einem Holzkanu über den Amazonas. Aber lest selbst!

Über die metallene Rampe steigen wir in das Schnellboot ein, das uns heute noch in das brasilianische Grenzstädtchen Tabatinga bringen soll. Mit wehmütigen Blick drehen wir uns nochmal um und winken unserem Kanu. Fast 1.500 Kilometer sind wir mit dem kleinen Holzboot von Ecuador flussabwärts entlang des Rio Napos und Rio Amazonas bis nach Peru gepaddelt. Jetzt liegt das Kanu auf dem Trockenen, weil es gestern von der peruanischen Marine konfisziert worden ist.
Die Marineeinheit an der Grenze Ecuador-Peru, 800 Kilometer flussaufwärts, wollte keine besonderen Dokumente von uns. Ihr Kollege hier an der Kontrollstelle kurz vor der brasilianischen Grenze ist da anderer Meinung: Er will uns unter keinen Umständen weiterpaddeln lassen. Wir haben also keine andere Wahl, als seinen Anweisungen zu folgen und den nächsten Abschnitt bis nach Manaus mit einem öffentlichen Transportschiff zurückzulegen.
Vor Schmugglern und Piraten wird gewarnt
Vielleicht wäre die Weiterfahrt aber sowieso zu gefährlich geworden. In den letzten Tagen hatten uns viele Leute am Fluss vor dem letzten Streckenabschnitt gewarnt. Der brasilianische Amazonas sei voll von Schmugglern und Piraten. Auch bewaffnete Raubüberfälle seien nicht selten. Aber darüber müssen wir uns jetzt nicht mehr den Kopf zerbrechen, das Kanu sind wir los. Demnächst soll es zurück nach Ecuador geschifft werden. Dahin, wo alles angefangen hat.

Wir wussten schon bei unserer Ankunft in Südamerika nach dem aufregenden Segeltörn über den Atlantik, dass wir ab Ecuador durch das Amazonasgebiet nach Brasilien reisen wollen. Dieses gigantische Gebiet – mit seiner unglaublichen Artenvielfalt, Kulturen und bewegenden Geschichte – hat uns schon immer fasziniert.
Flüsse sind die Straßen
Bis zur 3.000 Kilometer entfernten Stadt Manaus in Brasilien ist das Befahren der unzähligen Seitenarme und Zuflüsse des Amazonas mit Booten und Schiffen die einzige Möglichkeit, sich über größere Distanzen fort zu bewegen. Wie ein riesiges Kapillarsystem zieht sich das Flussnetz des Amazonas über ein Gebiet so groß wie Australien. Eigentlich wollten wir die knapp 3.000 Flusskilometer zwischen Ecuador und Manaus in Brasilien mit öffentlichen Transportmittel zurücklegen. Aber dann kam uns die Idee, die Flüsse mit eigenem Kanu zu paddeln!
Auf unserer Ausrüstungsliste für die Tour standen auch Mückenspray und Macheten. Was man eben so braucht im Dschungel.
Der Rio Napo fließt durch den ecuadorianischen und peruanischen Teil des Amazonasbeckens. In Peru mündet er in den Rio Amazonas. Auf der Karte konnten wir sehen, dass Puerto Francisco de Orellana die letzte große Stadt ist, bevor es keine Straßenverbindungen mehr gibt. Das sollte unser Startpunkt sein.

Unsere Entscheidung für die Kanutour stand endgültig fest, nachdem wir mit Javier Colorado gesprochen hatten. Er ist vor einem Jahr den kompletten Streckenabschnitt gepaddelt und gab uns viele wertvolle Tipps. Aber vorher gab es viel zu klären: Wie kommen wir an ein Boot? Welche Gefahren lauern unterwegs? Welche Ausrüstung brauchen wir? Wie halten wir Kontakt zur Außenwelt? Als wir Antworten gefunden hatten, begannen die Vorbereitungen.
Auf unserer Ausrüstungsliste standen neben regendichtem Zelt, GPS-Tracker, Kompass, Gummistiefeln und Regenmantel eine Menge Kleinigkeiten, die wir zu besorgen hatten: Angelzeug, Mückenspray, Sonnenmilch, Hüte, Macheten. Was man eben so braucht im Dschungel.
Noch fehlte das Wichtigste: unser Boot
Es sollte ein kleines Holzkanu sein, groß genug für zwei Personen und mit ausreichend Platz für unser Gepäck. Schließlich fanden wir unser Wunschboot in der ecuadorianischen Hafenstadt Puerto Francisco de Orellana. Daniel, der einige Kilometer flussabwärts von der Stadt entfernt in einer Quechua-Gemeinschaft (größte indigene Bevölkerungsgruppe) wohnt, wollte uns sein Boot verkaufen. „Ich lasse euch aber nicht lospaddeln, bevor ihr mir nicht gezeigt habt, dass ihr auch sicher mit dem Boot umgehen könnt!“, mahnte er uns. Also zogen wir für ein paar Tage in die kleine Gemeinschaft am Fluss, um uns mit dem Rio Napo und seinen Eigenheiten vertraut zu machen.

Endlich startklar, erfasste uns eine unbeschreibliche Vorfreude auf unser Paddel-Abenteuer auf dem Amazonas. In zwei große Plastiktonnen packten wir Lebensmittelvorräte, Gummistiefel, Rettungswesten, eine wasserfeste Tonne für Wertsachen, unsere Rucksäcke, Regenmäntel, Macheten – und paddelten los. Aber dann kam es doch erst einmal anders als gedacht. Gleich am zweiten Tag trafen wir überraschend auf die ecuadorianische Marine.
Am Hafen hatten wir ein paar Leute gefragt, ob es besondere Richtlinien zum Befahren des Rio Napo geben würde. Alle, die wir gefragt hatten, waren der Meinung, dass man mit einem motorlosen Holzboot keine besonderen Regeln beachten müsse. Weit gefehlt! Denn für die Weiterfahrt forderten die Marine-Offiziere eine Registrierung des Boots, die wir nicht vorweisen konnten. Sie schickten uns zurück in die Stadt, um die offiziellen Dokumente zu besorgen.


Der lange Weg
Zwei Wochen später war das Kanu registriert, die offizielle Schiffsnummer an den Bug gepinselt und wir konnten wieder starten. Wir gewöhnten uns schnell an den Rhythmus der Natur. Viele Tage waren wir schon mit dem ersten Licht auf den Beinen und paddelten bis zur Abenddämmerung. Dann suchten wir uns irgendwo in der Wildnis oder in einer der kleinen Siedlungen entlang des Flusses einen Platz, um unser Zelt aufzuschlagen.
Manchmal paddeln wir stundenlang den Strom entlang ohne ein Anzeichen von menschlichem Leben. Kein Schiff, kein Palmblätterhaus, kein Garten – nur wir und der erdfarbene Fluss, der durch die Weite des Regenwalds mäandert. Für einen Moment holt uns dann das ferne Schreien der Brüllaffen aus unserer Paddeltrance, ein kreischendes Ara-Paar, das über unsere Köpfe hinweg fliegt, oder das plötzliche Aufatmen eines vorbei schwimmenden Flussdelfins.
Wir fahren durch enge, von Bäumen und Lianen überwucherte Seitenarme, übernachten auf einsamen Sandbänken, versuchen uns im Fischen. Und wir beobachten den eindrucksvollen nächtlichen Sternenhimmel. Eigentlich könnten wir uns so ganz gut an unseren „Dschungelalltag“ gewöhnen, wären da nicht die gnadenlose tropische Sonne und die hinterhältigen Moskitos.
Fussball spielen mit der Dorfbagage
Bis zu sechzig Kilometer paddelten wir an manchen Tagen. An anderen legten wir einfach die Ruder zur Seite, um uns wie Treibholz von der Strömung tragen zu lassen. Dabei verglichen wir unsere Eindrücke mit den Vorstellungen, die wir zu Beginn unseres Amazonas-Abenteuers gehabt hatten. Zum Beispiel der Idee, tagelang in der Wildnis zu verschwinden.
Doch das entspricht an den Hauptflüssen des Amazonasgebiets schon lange nicht mehr der Realität. Große Ölplattformen stehen am Uferrand. Gerodete Waldflächen, reger Schiffsverkehr und Kettensägenlärm zeigen, dass der Kapitalismus längst Einzug in die Lebenswelten der Einheimischen gehalten hat. Projekte wie der elektrische Fisch, ein autonomes Solarboot als Transportmittel für die letzten autark lebenden Indianer, halten hier dagegen. Dieses Bild gehört genauso zum Amazonas wie die bunten Aras, die Baumriesen, der dichte Dschungel sowie die traditionellen Rituale und Lebensweisen der Indiginos.
Alle Strapazen der Reise vergessen, wenn wir abends in den Dörfern ankamen und mit einer riesigen Schüssel Chicha (einem alkoholhaltigen Getränk aus der Maniokwurzel) empfangen wurden, mit der ganzen Dorfbagage in der Dämmerung Fußball spielten oder das letzte Licht ausnutzen, um gemeinsam im Fluss zu baden.
Auf dem wasserreichsten Fluss der Erde
Nach 35 Tagen auf dem Rio Napo erreichen wir die Mündung in den Amazonas. Es ist ein unglaubliches Gefühl, als wir mit unserem Holzkanu auf dem wasserreichsten Fluss der Erde paddeln. In der Regenzeit wird der Amazonas teilweise sehr breit. In der Mitte des Flusses kamen uns die Ufer meilenweit entfernt vor. Hier waren wir ganz allein mit den Papageien, die über unseren Köpfen hinwegsegelten und den pinkfarbenen Flussdelfinen, die uns immer mal wieder ein Stück begleiteten.
Das Wetter war launenhaft. Manchmal war das Wasser so glatt, dass sich die Wolken glasklar im Fluss spiegelten. Die heiße Tropensonne brannte dann gnadenlos auf uns herab und verbrannte jedes ungeschützte Fleckchen Haut. An anderen Tagen hatten wir mit hohen Wellen und heftigen Regenschauern zu kämpfen. Einmal waren sie so stark, dass wir mit unserem niedrigen Kanu unmöglich weiterfahren konnten und eine dreitägige Pause einlegen mussten.

Abenteuer bergen auch Gefahren
Vor drei Gefahren hatte man uns gewarnt: Den hohen Wellen, wenn ein größeres Schiff an uns vorbei fährt, die das Kanu zum Kentern bringen könnten. Vor plötzlich auftauchenden Strudel, die manchmal kleine Boote verschlucken und in die Tiefe ziehen. Und schließlich: Der sich in wenigen Stunden verändernde Wasserstand des Flusses. Was eben noch Sandinsel war, kann gleich komplett im Wasser versinken.
Eigentlich wollten wir diesen faszinierenden Fluss bis nach Manaus paddeln. Auf dem Flussdampfer, wo die Hängematten der Reisenden dicht an dicht nebeneinander hängen, war der Blick auf den Amazonas plötzlich ein ganz anderer. Hier waren wir nicht mehr Teil des Wasserlaufs, sondern nur noch Beobachterinnern. Der starke Regenschauer war nun nicht mehr wertvolles Trinkwasser oder eine erfrischende Dusche, sondern einfach nur dicke Tropfen, die vom Himmel fielen.

Während der Reise haben wir vieles neu schätzen gelernt. Und wir haben unsere Vorstellungen, Rollenbilder und Gewohnheiten hinterfragt. Zwei Monate auf dem Amazonas waren in jeder Hinsicht eine intensive und lehrreiche Zeit – ein Erlebnis, dass wir so schnell nicht vergessen werden.
Wer mehr im Detail erfahren möchte über die Amazonas-Tour im Holzkanu von Julia und Lisa Hermes, kann hier weiterlesen.