Eigentlich sollte sie „Internationale Bootsausstellung am Bodensee“ heißen. Doch zum Glück für das spätere Internet-Zeitalter einigte man sich vor 60 Jahren auf wenige prägnante Silben: Interboot. Was damals als Ableger einer regionalen Gewerbeschau begann, ist anschließend zu einem machtvollen maritimen Gipfeltreffen der Gegenwart gewachsen. Hier stoßen jeden Herbst die stärksten Flotten der Bodensee-Anrainer aufeinander, ohne auch nur einen scharfen Schuss abzufeuern.
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Die jährliche Vermählung mit dem schwäbischen Meer findet in bemerkenswerter Eintracht statt. Tatsächlich war es eine schweizerisch-schwäbische Initiative, die zur größten Inwater-Bootsmesse nördlich der Alpen führte. Der Friedrichshafener Unternehmer Otto P. W. Hüni, gebürtiger Schweizer, regte maßgeblich die Gründung der Interboot an.

Hüni, heute ein Hidden Champion im Bereich der Kunststoffverarbeitung, war zwar damals als lederverarbeitender Betrieb ohne Bezug zum Wassersport. Sein vermögender Besitzer aber durchaus: Otto Hüni besaß schon vor dem Zweiten Weltkrieg mehrere Motorboote. Mit den Honoratioren dies- und jenseits des Sees war der Mäzen und erste Fabrikant Friedrichshafens folglich nicht nur auf dem Landweg bestens vernetzt.
Man wurde schnell einig – dank Hünis Schweizerdeutsch-Kenntnissen auch mit den Nachbarn aus den Alpen. Die beharrten zwar weiter auf ihren nationalen Leistungsschauen in Zürich, Genf und Basel. Doch sahen Boesch, Brunnert-Grimm und andere Werften das Potenzial eines Schaufensters am Nordufer. „Die Schweizer Aussteller waren durchaus treibende Kraft“, sagt Dirk Kreidenweiß, seit zwanzig Jahren der Projektleiter der Interboot.
Masten stachen aus Dächern
Diese „konstruktive Harmonie“ zwischen Nord- und Südufer hat sich bis heute erhalten. „Schwaben und Schweizer sprechen ja ähnliche Dialekte, das hilft schon viel.“ Auch weltanschaulich sitzt man in einem Boot: Hier ruft der Kuckuck die Zeit bedächtig, aber gründlich aus. Er ruft nicht ein Mal zu viel (lieber zu wenig). Und bevor er jemand anderen zu laut oder zu oft rufen lässt, macht er’s lieber selbst.

Zum Beispiel Platz schaffen, wenn er fehlt. Als sich zeigte, dass die Hallen auf dem alten Messegelände im Stadtkern für Segelboote zu niedrig waren, stieg man den Gebäuden kurzerhand aufs Dach – und riss ein Stück der Deckenplatten heraus. So stachen die Masten der Boote jenseits davon in den Himmel. So sind sie, da unten am schwäbischen Meer: Wenn’s nützt, reißen sie auch was ein.
Mit 50 km/h übern Bodensee
Auch gegen etwas Tempo von Zeit zu Zeit hat man nichts – etwa bei der Präsentation des Wankel-Boots 1976. Das Werk von Felix Wankel, ebenfalls ein Bodensee-Anrainer, war eine Weiterentwicklung seines Rennboots „Zisch“ mit Kreiskolbenmotor und Tragflügeln. Zwölf Kufen ließen es mit bis zu 50 km/h über die meist ruhige Bodensee-Oberfläche zischen. War die unruhig, drehte die Schraube in der Luft. Daher setzte sich Wankels Erfindung trotz viel Resonanz in Friedrichshafen später auch auf dem Wasser nicht durch.

Was sich dagegen durchsetzte: ein Baumaterial, über das sich eine Zeitung 1968 noch etwas skeptisch äußerte. „Vornehmlich bei den Jollen scheint sich das Kunststoffboot durchzusetzen“, schrieb damals ein Korrespondent nach seinem Messerundgang. Als billigstes Boot in Friedrichshafen identifizierte der Reporter ein Schlauchboot für 140 Mark. Das teuerste war ein Motorkreuzer – aus eben jenem dubiosen „Kunststoff“ – für 150.000 Mark.
Ein Vorläufer der Messe-App
Auch für andere Technologien waren die Interboot-Macher frühzeitig aufgeschlossen. Und sie setzten sie so geschickt ein, dass sie zeitweise zum USP der Messe wurde: der „Interboot-Computer“. In einer Ära, in der Rechner noch Lochkarten ausspuckende Wunderkisten waren, versetzte eine solche Maschine die Messebesucher in Verblüffung.
Besucher konnten nach Eingabe von Preis, Größe und weiteren gewünschten Eigenschaften das für sie passende Boot ausfindig machen. Dann erhielten sie die dazu gehörige Hallen- und Standnummer – ein früher Vorläufer der Messe-App.

„In den Computer wurden 1.095 Boote eingespeist, wie es so schön heißt“, berichtet ein Korrespondent launig in der Zeitung „Die Welt“. Davon seien 53,78 Prozent auf Motorboote, hingegen 37,52 Prozent auf Segelboote entfallen.
Diese Präferenz wechselte mit der Zeit, wurde doch „oft, so auf den bayrischen Seen, das Motorengeheul der Sportboote sogar als störend empfunden“, wie ein Interboot-Reporter 1968 anmerkte.