Es ist unglaublich, Boris Herrmann liegt heute morgen auf Platz 3, nur noch 38 Seemeilen vom führenden Charlin Dalin auf Apivia entfernt und nur 18 Meilen von Louis Burton/Bureau Vallee 2. Er segelt aktuell schneller als beide und kann den kleinen Vorsprung heute möglicherweise noch aufholen und sich an die Spitze des Rennens setzen. Zumal Charlie Dalin ein Problem mit seinen Foils hat und sie nicht mehr ganz ausfahren kann. Boris Herrmanns „Seaexplorer“ mit Foils der zweiten Generation ist dagegen in gutem Zustand und aktuell das beste Schiff an der Spitze. Es geht also noch mehr.
Heute war er im Interview der Vendée Globe eingeladen und sprach mit Susann Beucke und Harm Müller Spreer Rolex-TP52-Weltmeister.
Seit einer Woche segelt Boris Herrmann jetzt auf Steuerbordkurs, den Wind immer von rechts. Gestern im Pressegespräch war der Wind unstetig, schwankte zwischen 15 und 22 Knoten. Die „Seaexplorer“ läuft unter voller Last, Boris’ Nerven sind angespannt. Er muss sich an die Foiling-Bedingungen mit harten Schlägen durch Schiff und Körper erst wieder gewöhnen.
„Ich habe viel mit der Instabilität des Windes zu kämpfen, der plötzlich auf 26 Knoten hochschnellt und dann wieder unerwartet zusammenbricht“, berichtet er gestern. „22 Knoten reichen schon, um alle Lastwerte zu überschreiten, dann ist hier an Bord die halbe Zeit Alarmstufe rot.“
Bald ist die Führungsgruppe am Äquator
In zwei Tagen wird die Führungsgruppe am Äquator sein. Hier sieht Herrmann seine Chance, noch weiter nach vorne zu kommen. Dann geht es westlich an den Azoren vorbei und im großen Bogen Richtung Kap Finstere. Die geschätzte Ankunftszeit, ETA, für ihn wird zwischen dem 27. und 30. Januar liegen, vermutet Boris Herrmann.
„Ich fahre mein Rennen“
Ob er jetzt auf seine Gegner achtet, wird Boris gefragt: „Ich fahre mein Rennen. Was andere machen, ist für mich nur eine Referenz“, antwortet er. „Thomas Ruyant und Charlie Dalin sind Geheimniskrämer. Die sagen nicht, was Sache ist.“ Aber er schaut natürlich auf die Positions-Updates der Rennleitung. Und was da gerade passiert, ist fantastisch!
„Es liegt ja auch nicht in meiner Hand, wie weit ich jetzt herankomme. Ich segle mein Boot so weit ich kann und es der Wind zulässt. Alles andere ist Zufall – oder Schicksal.“ Die Leute denken immer, es liege vor allem an den Skippern, wie schnell das Boot segelt, korrigiert er. Doch zu 99 % hänge die erfolgreiche Position im Rennen vom Wetter und dem Boot selbst ab. Der Rest sei die Umsetzung des Skippers. „Dass ich so weit aufholen konnte, ist ein Geschenk der Wettersituation, aber auch auch Resultat des Zustands des Bootes.“

Segelst Du jetzt mit mehr Risiko, wird Boris Herrmann im Presse-Call auf hoher See gefragt. „Ich beobachte mich ein bisschen, aber ich glaube nicht“, sagt er. „Man kann nie so richtig Vollgas geben, aber da darf man sich nicht verrückt machen“, antwortet er entspannt. „Auch die Chance, das Rennen gewinnen zu können, macht mich nicht verrückt. Es ist nur eine zusätzliche Motivation.“ Und worauf freut er sich am meisten?
„Anzukommen natürlich! Ich freue mich auf meine Familie, endlich schlafen zu können und darauf, dass der Druck zu Ende ist. Die zwei Wochen halte ich noch gut durch, aber dann habe ich auch die Schnauze voll“, sagt er lachend.
Wie es wettertechnisch weitergeht, erklärt Sebastian Wache
Das St.-Helena-Hoch liegt Steuerbord achteraus und die führende Flotte erreicht die Passatwinde. Durch das Hoch werden diese Winde soweit herumgeholt, dass es sich eher um einen ein Nordostwind handelt als einen reinen Südost-Passat.

Ist der Wind auch recht gleich verteilt, kommt es hier auf die Strömungen an. Der Brasil-Strom ist zwar nicht sonderlich stark, aber einzelne Wirbel können immerhin bis zu einen Knoten bringen – als mitlaufend oder gegenlaufenden Strom. Das kann den Seglern kleine, aber entscheidende Vorteile oder auch Nachteile bringen.
Am Wochenende erreichen die ersten Teilnehmer die Doldrums, die Flautenzone, in der sich die Passate treffen und teils aufheben. Diese Zone gilt es zu vermeiden. Und da es schwer wird, gegen den Wind – hier den Nordostpassat – zu segeln, werden die Boote einen Bogen im Kurs zwischen Äquator und Zieleinlauf segeln. Dabei werden sie sich nach dem Queren der innertropischen Konvergenzzone mit seinen Flautenbereichen so gut es geht nach Norden orientieren. Es wird entscheidend sein, wie weit sie dabei unter der Küste Brasiliens bleiben.

Der Nord-Äquatorial-Strom schiebt gewaltig
Man sieht hier zunächst mehr Wind und auch der Nord-Äquatorial-Strom schiebt teilweise gewaltig. Doch verliert man hier mehr Höhe, je dichter es unter Land geht. Wo und wie hoch jeder einzelne versuchen wird, sich nach Norden zu verholen, ist jetzt noch nicht abzusehen. Das hängt von der exakten Ausprägung der Doldrums und der Passate auf der Nordhalbkugel ab. Und die wiederum werden durch das Hoch gesteuert, das allerdings von atlantischen Tiefs gestört werden kann.

Es wird spannend sein zu sehen, ob in diesem dichten Feld nun jeder auf den anderen schaut und keinen Fehler mehr machen möchte. Oder ob einer – oder eine – wagt auszureißen und eine gänzlich andere Strategie verfolgen wird. Der tägliche Blick auf den Tracker der Vendée Globe 2020 wird es uns verraten.