„Ich wollte da seit dem Ende des kalten Kriegs immer mal hin.“ Guido Dwersteg hat’s getan – er ist im vergangenen Jahr durch Russland gesegelt. Von der Ostsee bis ins Weiße Meer und hoch in die Barentssee. Dieser Abschnitt mit Segeln durch Russland war nur ein Teil der Runde, die er selbst die Tigerrunde nennt: Einmal rund Skandinavien. Von Fehmarn bis Fehmarn.
Nur die wenigsten Segler werden die Zeit haben, einen solchen Törn in Angriff zu nehmen. Nach Russland kommt man jedoch auch in einem Sommerurlaub, und Sankt Petersburg gilt als eine der attraktivsten Städte an der Ostsee. „Allein dafür lohnt es sich schon, die Landausflüge dort waren schon echt geil“, berichtet Dwersteg. „Irgendwie ist es doch komisch, dass dort so wenige Deutsche hinfahren. Wir bereisen alle weit entfernte Länder und Ziele, alle kennen die großen Städte Europas. Doch kaum jemand kommt auf die Idee, nach Russland zu reisen, obwohl das Land sehr reizvoll ist und quasi vor unserer Haustüre liegt.“
Papierkram
Das, was die meisten Segler wohl von der Reise abhält, sind die Formalitäten und der Papierkram, den die Einreise nach Russland erfordert. Es ist allerdings gar nicht so wild, wie man denkt. Wenn man sieht, wie viele Menschen aus aller Welt sich derzeit in Russland bei der Fußball-WM befinden, dann kann es auch gar nicht so schwer sein, ins Land zu kommen. Es ist halt der übliche Papierkram für Länder außerhalb der EU.
„Wenn man nur nach Sankt Petersburg möchte, ist das mit der Bürokratie überhaupt nicht so schlimm, wie es viele befürchten.“ Schwieriger wird es erst, wenn man wie Dwersteg und sein russischer Freund Viktor danach weiter ins Binnenrevier möchte. Wer die Zeit hat, sollte das jedoch unbedingt machen. „Hinter dem Stadtgebiet von Sankt Petersburg beginnt eine Welt, die man so von Europa nicht kennt“, schwärmt der Koblenzer, der über die Reise eine siebenteilige Filmreihe veröffentlicht hat.
Auf dem platten russischen Land gibt es Orte, die weder Strom noch fließend Wasser haben. Statt toller Infrastruktur erwartet den deutschen Segler dort jedoch viel Gastfreundschaft. Im vergangenen Jahr haben diesen Weg offenbar nur drei deutsche Yachten gemacht. Auch, weil es dort keine Infrastruktur für Wassersportler gibt. Guido weiß aus Erfahrung: „Man findet jedoch immer Pontons oder ähnliches, wo man festmachen kann. Ansonsten schmeißt man halt einfach den Anker.“ Städte gibt es dort kaum noch Manche Orte werden dort „Siedlungen städtischen Typs“ genannt. Da gibt es dann zumindest mal einen kleinen Laden, wo man kaufen muss, was da ist.
Guido und seine „Carpe Diem“ sind von Sankt Petersburg aus über die Newa in den mit 672 km² größten See Europas, den Ladoga-See, gefahren. Danach ging es über die Swir weiter zum Onega-See, den zweitgrößten See Europas. Von dort durch den unter Stalin erbauten Belomor-Kanal zum Weißen Meer und über Archangelsk bis Murmansk, wo er dann die russisch-norwegische Seegrenze erreichte.
Was braucht man?
Neben einem gültigen Visum, das man im Heimatland beantragen muss, benötigt man gültige und international anerkannte Bootspapiere (Flaggenzertifikat) – und natürlich seinen Reisepass. „Ich bin mir nicht sicher, ob man sich vorher – wie oft beschrieben – überhaupt anmelden muss. Wir sind von Haapasaarii (Finnland) rüber nach Kronstadt, wo sich die Einklarierungsstelle befindet. Da legst Du dich dann hin, erträgst ein wenig Heckmeck mit den Formalitäten, und schon darfst Du weiter“, berichtet Guido entspannt. Von dort aus geht es in die Newa-Bucht, und in der Regel liegt man dann im Central River Yacht Club.
Wer weiter ins Land möchte, sollte sich einen Agenten nehmen. Guido hat das über Sail Russia gemacht. Die Agentur erledigte viel Papierkram im Vorfeld und holte alle nötigen Dokumente und Erlaubnisse ein. Außerdem ist Guidos russischer Freund Viktor auf dem russischen Abschnitt seiner Reise mit an Bord gewesen. Das war vor allem für den Funkverkehr eine Erleichterung. Dwersteg: „Für die Binnenpassage benötigt man auch – so habe ich das gehört – eine Erlaubnis des russischen Transportministeriums. Die haben wir uns auch geholt.“ Ob das Pflicht ist, bekommt er jedoch nicht heraus. Später erfuhr Dwersteg, dass man den Permit offenbar doch nicht benötigt. Nichts genaues weiß niemand.
Je tiefer man ins Land eintaucht, desto bessere Nerven braucht man mit den Behörden. Manchmal ist es Willkür, manchmal einfach Überforderung, weil dort fast nie Sportboote vorbeikommen, schon gar keine deutschen. „Als wir das Binnenrevier verließen und ins Weiße Meer kamen, mussten wir ständig ein- und ausklarieren, obwohl wir das Land nicht mal verlassen hatten“, erzählt Dwersteg. Man habe die Bavaria 32 teilweise behandelt wie einen ausländischen Containerfrachter.
Die elektronische Navigation in Russland war mit Navionics und Transas-Karten komplett abgedeckt. Schwieriger ist es mit Papierkarten. Möchte man nur bis Sankt Petersburg, hat man mit dem Kauf der Seekarten keine Probleme. Die russischen Binnenkarten kann man in Deutschland jedoch nicht kaufen. Guido hat sie über seinen Agenten bezogen. Noch schwieriger war es, Material über das Weiße Meer und die Barentssee zu bekommen. „Die haben wir dann mit viel Heckmeck und auch nur mit Viktors Hilfe im Internet gekauft. Wir mussten dafür dann zum Hauptzollamt und hatten viel Rennerei.“
Dennoch würde Dwersteg jedem empfehlen, zumindest mal nach Sankt Petersburg zu segeln. Allein der Weg dorthin über Finnland oder die baltischen Länder ist eine Reise wert. Wer etwas mehr Zeit hat, kann von dort das „echte Russland“ erleben und zum Ladoga-See und wieder zurück segeln. Man sollte auf dem riesigen See allerdings nichts außer Natur erwarten.
Es gibt dort keine Yachthäfen, nur hier und dort mal eine Siedlung – und mit viel Glück auch mal einen Steg, an dem man festmachen kann. Guido stellt fest: „Dort segelt man ja eh nicht hin, wenn man das Mondäne sucht. Dafür bietet der See aber ursprüngliche, nordische Wälder und Trinkwasserqualität.“
Wer mehr über die Route von Guido erfahren möchte, kann das hier tun: