Gegenüber der Arktis verhält sich die gesamte Menschheit schwer kriminell. Die Lufttemperatur über dem Nordpolarmeer ist seit den 1970er-Jahren mehr als doppelt so schnell gestiegen wie auf dem Rest des Planeten. Im Gegenzug hat das Meereis seine sommerliche Ausdehnung in den letzten vierzig Jahren halbiert. Diät gelungen, Patient tot.
Dass die menschengemachte Klimaerwärmung der Arktis – und damit dem Weltwetter – einschneidend zusetzt, ist eine abgemachte Sache. Aber wie genau spielen Temperatur, Wind, atmosphärische Strömung und Meereis zusammen?
Was wirbelt denn da?
Um alle Komponenten des Klimasystems minutiös zu erfassen, wurde die Forschungsexpedition MOSAiC unter der Federführung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) auf den Weg gebracht. Von Herbst 2019 bis Herbst 2020 ließ sich der deutsche Eisbrecher „Polarstern“ von einer Eisscholle unterhaken und durch das Nordpolarmeer treiben, unterstützt von einer Begleitflotte und unter Beteiligung von mehr als 600 Menschen. Der deutsche Forschungseisbrecher stach vom norwegischen Tromsø aus in See und driftete ein Jahr lang durch den Arktischen Ozean – gefangen im Eis.
Ziel der MOSAiC-Expedition war es, die Arktis als Epizentrum der globalen Erwärmung aus nächster Nähe zu betrachten und grundlegende Erkenntnisse zu gewinnen, die für ein besseres Verständnis des globalen Klimawandels wichtig sind. Hunderte von Forschern aus 20 Ländern waren an diesem außergewöhnlichen Unterfangen beteiligt.
Auf den Spuren von Fridtjof Nansens bahnbrechender Expedition mit seinem hölzernen Segelschiff Fram in den Jahren 1893 bis 1896 brachte die MOSAiC-Expedition einen modernen Forschungseisbrecher für ein ganzes Jahr in die Nähe des Nordpols, zum ersten Mal auch im polaren Winter.

Ein internationales Konsortium von 80 Forschungsinstituten hatte sich für die Langzeitstudie zusammengeschlossen. 60 Wissenschaftler plus Crew hielten sich gleichzeitig an Bord der Polarstern auf und mussten sich mit den Extrembedingungen arrangieren. Über 20 Zyklone wirbelten über die Polarstern hinweg, die Temperaturen fielen bis auf 45 Grad minus.
Ein dichtes Netz aus Messstationen ermöglichte eine so detaillierte Erfassung der ganzjährigen Vorgänge wie noch nie. Sie wurden auf dem Schiff, im benachbarten Camp und an 50 Kilometer entfernten Punkten aufgestellt. Die bisherigen Annahmen über das Verhältnis von Schneebildung zu Meereistemperatur zu Wind müssen revidiert werden, zeichnet sich ab.

Nur was du weißt, macht dich heiß
Die neuen Einblicke sind wichtig für künftige Modellsimulationen und die Auswertung von Satellitenbeobachtungen. Sie helfen, „noch mehr über Klima-Rückkopplungen und die globalen Auswirkungen des arktischen Wandels zu erfahren. Diese Veränderungen können Wetter und Klima weltweit beeinflussen“, sagt Prof. Markus Rex, Leiter von MOSAiC und Atmosphärenforscher am AWI, die Relevanz der Expedition.
Momentan werten Forscher die Ergebnisse von Hunderten von Wissenschaftlern aus. Über eine erste konkrete Auswirkung der Reise kann sich die begleitende Fotografin Esther Horvath freuen. Ihr Pressefoto zweier Eisbären beim Inspizieren einer Messinstallation hat den ersten Preis beim World Press Photo Contest 2020 gewonnen.
