Die boot Düsseldorf fällt 2022 aus, die METS Amsterdam 2021 präsentierte sich ausstellerzahlenseitig arg zerrupft, die Boot & Fun Berlin fand im November gerade noch zum gefühlt letzten möglichen Termin statt. Leitmessen wie die Tourismusschau ITB Berlin laufen zum zweiten Mal in Folge online-only. Und wie viele Frühlingsmessen tatsächlich ihre Pforten öffnen, weiß im Moment niemand.
Warum die eigenen Bootspremieren also nicht direkt im virtuellen Raum präsentieren? Das fragten sich viele Bootshersteller nach dem Beginn der Covid-Pandemie im letzten Jahr. Weshalb nicht anstelle von mehr oder weniger gelungenen Livestreams von Bootspremieren, die wir im letzten Frühjahr sahen, die ganze Modellpalette im Web vorstellen?
Wie erfolgreich und wie aufwändig ist eine Bootsschau auf dem Screen? Das fragten wir Werftvertreter, die dieses Marketingkonzept selbst ausprobiert haben.
Eine Welt nachbauen
Für eine virtuelle Bootsschau, die ausschließlich im Internet stattfindet, braucht es mehr als eine VR-Umgebung aus dem Baukasten, Renderings und ein paar PDF-Infodateien zum Herunterladen. Wer dem Stichwort „Virtual Boat Show“ hinterhersurft, findet Exposé-Agglomerationen, die gruseln machen.
Einige Messeveranstalter unternahmen 2021 den Versuch, online eine Bootsschau zu organisieren, darunter die Virtual Nautic in Paris und andere Boat-Shows von Valencia bis Vancouver. Die Reaktionen des Publikums darauf, eine ganze Schau mit vielen Bootsmarken virtuell abzubilden, waren hier eher mau.
Es gilt nämlich, eine komplette Halle oder einen Steg zu bauen. Manchmal war es auch anders herum: Die Schau des französischen Branchenverbands war technisch ambitioniert, aber zu verspielt: Bis man wie eine Trickfilmfigur durch die Hallen der Virtual Nautic Paris laufen konnte, galt es erst einmal, relativ aufwändig den Zugang zu konfigurieren.
Unsere spontane Umfrage bei Werften zeigt, dass viel Lehrgeld bezahlt wurde. Die Antworten zum Thema virtuelle Bootsmesse reichen von „Erinnere mich bitte nicht mehr daran“ bis „Hat unsere Erwartungen nicht erfüllt“. Doch es geht auch anders. Challenge angenommen!
Challenge angenommen!
Eins der bekanntesten Beispiele ist die virtuelle Marina, die Jeanneau für seine Segelyachten und Motorboote gebaut und im letzten Frühjahr online gestellt hat. Die französische Bootswerft Jeanneau hat aus der Not des Lockdowns eine verlockend detailreiche animierte Bilderschau mit Videos gemacht.

Es gibt dort seit fast einen Jahr zwei schmuck gestaltete Stege fürs Segeln und für Motorboote. Aktuell sind dort 18 Bootsmodelle zu sehen, die man am Bildschirm selbst erkunden kann. Auch Filme sind hinterlegt, in denen das Boot erklärt wird, aber eben nicht live.
Die direkte Verknüpfung zu den durchaus verfügbaren 360-Grad-Ansichten der Boote per Link ist etwas hakelig. Wer das Boot fahren möchte, füllt ein Formular aus, das an den regional zuständigen Händler geht. Einen direkten Live-Kontakt gibt es nicht. Damit ist die Virtual Boat Show eher eine Ausstellungshalle, aber kein Ort für eine persönliche Beratung. Ein schönes Easter Egg gibt es auch, wenn die Besucherin die Show über den Anmeldepavillon Richtung Hafen verlässt – aber seht selbst.
Eine Welt nachbauen
Das Messeerlebnis am Bildschirm wird persönlicher und verbindlicher, wenn Menschen dabei sind – mit geführten Bordrundgängen und live anwesenden Ansprechpartnern. Und genau das machte die Brunswick Venture Group. Die in Europa vor allem durch die Bootsmarken Bayliner und Quicksilver bekannte US-Firma stellte im Februar 2021 erstmals eine komplette Bootsmesse auf die Beine.

Dabei werden alle aktuellen Boote von Quicksilver und Bayliner virtuell in 3D dargestellt. Die Besucher können dabei von Boot zu Boot navigieren, und das alles direkt von ihrem sicheren Zuhause aus. „Das Schöne an einer virtuellen Messe ist, dass man die gesamte Palette zeigen kann, was bei einer physischen Messe fast unmöglich ist“, erklärt Eric Mattiszik, Sales Representative bei Brunswick Venture, gegenüber float.
Im Anschluss gab es auch Bootsverkäufe. „Unsere Händler konnten direkt während der virtuellen Bootsmesse, aber auch danach in ihren Geschäften Verkäufe tätigen.“ Letztes Jahr warteten die regionalen Bootshändler live während der Virtual Boat Show an virtuellen Messeständen, um künftige Kunden gemeinsam übers Boot zu führen.
Für 2022 wurde kräftig investiert
Offenbar wurde das Angebot gut angenommen. Man habe „eine große Wertschätzung durch Interessenten und Kunden erfahren“, so Mattiszik. „Die Umfragen, die wir an die Besucher verschickt haben, waren größtenteils sehr positiv. Die meisten haben die hohe Qualität der Plattform hervorgehoben, die ihre anfänglichen Erwartungen übertroffen hatte. Das war wirklich schön zu lesen.“
Für Runde zwei wurde noch einmal investiert. „Im Vergleich zum letzten Jahr haben wir fehlende Boote und einige neue Funktionen hinzugefügt“, erklärt Mattiszik. Dazu gehört die Rotation des 3D-Außenmodells, die für jedes Boot verfügbar ist, womit sich jedes Detail aus der Außenperspektive betrachten lässt.
Brunswick hat 2022 in der virtuellen Messehalle auch die Boote gerückt: Das Standlayout wurde so geändert, dass sich – wie bei einer physischen Messe – ein sehr intuitiver Rundgang ergibt. Funktionen wie die virtuelle Innenbesichtigung, Bilder, Videos und eine Online-Angebotserstellung gibt es weiterhin.
Auf die Live-Funktion – mit Bootshändlern am anderen Ende der Leitung – haben die Macher dieses Jahr bewusst verzichtet. Jederzeit tags und nachts einen virtuellen Bootsrundgang mit kompetenter Begleitung unternehmen zu können, hatte 2021 nur eine kleine Zahl der Gäste interessiert.
Live geht der zweite Durchgang von Brunswick Venture am 22. Januar auf zwei eigenen Websites, je eine für die Bayliner Virtual Show und für die Quicksilver Virtual Show. Die Programmierung hat ein kanadisches Unternehmen übernommen, das auf virtuelle Bootsrundgänge spezialisiert ist. Das sieht man der fotorealistischen Animation an.
Corona hat die digitale Entwicklung beschleunigt
Dass die Bootsbranche zunehmend digitaler wird – Stichwort: Abwarten und online gehen – und Bootskäufer häufig schon bestens vorab informiert vorm Händler stehen, bestätigt auch Mattiszik: „Covid hat definitiv die Entwicklung jeder digitalen Lösung beschleunigt.“

Gleichzeitig verjünge sich durchs Digitale das Publikum: „Wir erreichen auch eher eine jüngere Bevölkerung, was großartig ist, da wir immer mehr jüngere Bootsfahrer sehen. Diese Generation ist es gewohnt, sich Dinge über ihr Smartphone anzuschauen … all das ist also wirklich positiv.“
Kann eine Virtual Boat Show ein vollwertiger Ersatz für Bootsmessen vor Ort sein? „Diese Frage ist im Moment schwer zu beantworten“, sagt Eric Mattiszik. „Wir glauben nicht, dass die virtuelle Realität die physischen Produkte vollständig ersetzen kann. Aber wir gehen definitiv davon aus, dass sich die Messewelt verändert.“
Virtuelle Show als Rückversicherung
Eine Messe werde in Zukunft eine Mischung aus virtuellen und physischen Elementen sein. Mit dieser Ansicht steht er nicht allein da. Der deutsche Messeverband Auma hat in einem Workshop solche Konzepte schon 2021 skizziert. Fazit: Digital ja, aber vor allem als Ergänzung zur Vor-Ort-Messe.
Auch der Frankfurter Thorsten Kalscheuer, dessen Start-up erstmals 2020 eine markenübergreifende virtuelle Boat Show veranstaltete, sieht die Zukunft in der Verknüpfung „einer virtuellen Live-Boatshow und physischen Firmenveranstaltungen und Messen“. Für die Ausgestaltung der Stände war bei der Premiere allerdings jede Werft selbst verantwortlich. Die Show-Software bietet den Rahmen, in dem die Anbieter ihre Messegäste empfangen können. 2022 soll es weitergehen, so Kalscheuer gegenüber float.
Wie war das Feedback der Branche, wo man normalerweise im Direktkontakt mit Bootsinteressenten zur Bestform aufläuft? „Auch unsere Händler haben unsere Investition in eine virtuelle Bootsausstellung sehr begrüßt. Die überwiegende Mehrheit war sehr erfreut, an dem Projekt mitzuwirken“, sagt Mattiszik.

Für Brunswick Venture war die erste Virtual Boat Show 2021 auch eine Rückversicherung. „Covid bleibt jederzeit ein Risiko für jede große Indoor-Veranstaltung“, erinnert sich Mattiszik, „so dass wir mit Quicksilver, Bayliner und Uttern mit einer digitalen Lösung bereit sein wollten, für den Fall, dass Veranstaltungen abgesagt werden.“
Und so kam es, mehr oder weniger überraschend, auch dieses Jahr wieder. Auch wenn fürs Boating virtuelle Realität nicht perfekt ist, funktioniert es – nicht nur für Leute, die ein Boot kaufen wollen: „Durch die erneute Absage der boot Düsseldorf sind jetzt alle Quicksilver- und Bayliner-Händler sehr froh, mit der Online-Lösung einen qualitativen Plan B für ihre Kunden zu haben.“