Muss die Erdgeschichte neu geschrieben werden? Ein internationales Forscherteam unter Leitung von Geowissenschaftlern des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) hat ein neues, einzigartiges Fenster in die frühe Antarktis aufgestoßen. Reste eines Dschungels im Eis.
In einem Sedimentbohrkern, den die Forschenden im Februar 2017 im westantarktischen Amundsenmeer geborgen haben, fanden sie gut erhaltenen Waldboden aus der Kreidezeit, einschließlich vieler Pflanzenpollen und -sporen. Auch dichtes Wurzelnetzwerk war dabei.
Die Vegetationsüberreste belegen, dass vor etwa 90 Millionen Jahren ein gemäßigter, sumpfiger Regenwald im Küstenbereich der Westantarktis wuchs. Die Jahresdurchschnittstemperatur muss etwa 12 Grad Celsius betragen haben – ein für das Südpolargebiet außergewöhnlich warmes Klima.
Meeresspiegel 170 Meter höher
Dieser überraschend hohe Wert war nach Auffassung der Wissenschaftler nur möglich, weil der antarktische Eisschild damals fehlte und die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre deutlich höher war, als Klimamodellierungen dies bislang vermuten ließen.
Die mittlere Kreidezeit vor circa 115 bis 80 Millionen Jahren gilt nicht nur als das Zeitalter der Dinosaurier, sie war auch die wärmste Periode der zurückliegenden 140 Millionen Jahre. Nach bisherigem Wissensstand betrug die Oberflächentemperatur des Meeres in den Tropen damals rund 35 Grad Celsius. Der Meeresspiegel lag bis zu 170 Meter höher als heute.
Weitgehend unbekannt war bislang jedoch, wie die Umweltbedingungen zu jener Zeit südlich des damaligen Polarkreises aussahen. Aus der Antarktis gab es bis jetzt nämlich kaum aussagekräftige Klimaarchive, die so weit zurückreichen.
Waldboden aus der Kreidezeit
Der neue Bohrkern bietet den Wissenschaftlern nun erstmals die Gelegenheit, anhand einzigartiger Spuren das westantarktische Klima der mittleren Kreidezeit zu rekonstruieren. Auf einer Polarstern-Expedition konnten die Forscher mit dem Bremer Meeresboden-Bohrgerät MARUM-MeBo70 vor dem Pine-Island-Gletscher einen Bohrkern mit bemerkenswertem Inhalt ziehen: Er enthielt nahezu ursprünglich erhaltenen Waldboden aus der Kreidezeit.
„Bei der ersten Begutachtung an Bord fiel uns sofort die ungewöhnliche Färbung dieser Sedimentschicht auf. Sie unterschied sich deutlich von den Ablagerungen darüber. Erste Analysen ließen zudem vermuten, dass wir in einer Tiefe von 27 bis 30 Metern unter dem Meeresboden auf eine Schicht gestoßen waren, die sich einst an Land gebildet haben musste und nicht im Meer“, berichtet Erstautor Dr. Johann Klages, Geologe am AWI.
Spuren von Blütenpflanzen
Welch einzigartiges Klimaarchiv die Forschenden jedoch tatsächlich geborgen hatten, offenbarte sich erst, als der Sedimentkern in einem Computertomographen (CT) untersucht wurde. Die CT-Aufnahmen zeigten ein dichtes Wurzelgeflecht, welches sich durch die gesamte Bodenschicht aus sehr feinkörnigem Ton und Silt zog und so gut konserviert war, dass die Wissenschaftler einzelne holzige Zellverbände erkennen konnten.
Die Bodenprobe enthielt auch zahllose Pollen und Sporen verschiedener Gefäßpflanzen, darunter sogar Spuren der ersten Blütenpflanzen innerhalb dieser hohen antarktischen Breiten. „Die vielen pflanzlichen Überreste deuten darauf hin, dass der Küstenbereich der Westantarktis vor 93 bis 83 Millionen Jahren eine Sumpf- und Moorlandschaft bildete, in der ein gemäßigter Regenwald mit vielen Nadelhölzern und Baumfarnen wuchs – so, wie man ihn heutzutage zum Beispiel noch auf der Südinsel Neuseelands findet“, sagt Mitautor Prof. Ulrich Salzmann, Paläoökologe an der Northumbria University im englischen Newcastle upon Tyne.