
Wachstum trotz Polarnacht
Die Ergebnisse der Vegetationsanalyse stellten die Forscher vor ein Rätsel: Unter welchen Klimabedingungen konnte damals auf einer geografischen Breite von etwa 82 Grad Süd ein gemäßigter Regenwald wachsen? Der antarktische Kontinent lag selbstverständlich auch schon in der Kreidezeit am Südpol. Das heißt, in der Region, aus welcher der Waldboden stammt, herrschte länger als vier Monate Polarnacht.
Energiespendendes Sonnenlicht fehlte also ein Drittel des Jahres. „Um eine genauere Vorstellung vom Klima dieser wärmsten Phase der Kreidezeit zu bekommen, haben wir zunächst untersucht, unter welchen Klimabedingungen die heute lebenden Verwandten der damaligen Pflanzen existieren“, berichtet Johann Klages. Anschließend suchten die Wissenschaftler im Waldboden nach biologischen und geochemischen Temperatur- und Niederschlagsanzeigern, auf deren Basis sie die Luft- und Wassertemperatur des westantarktischen Kreide-Regenwaldes sowie die Regenmenge rekonstruieren konnten.
Viele Analysen, ein Ergebnis: Die Antarktis war in der Kreidezeit eisfrei und extrem warm. Die Ergebnisse der vielen verschiedenen Analysen passen wie die Teile eines Puzzles zusammen: Vor etwa 90 Millionen Jahren herrschte nur etwa 900 km vom Südpol entfernt ein gemäßigtes Klima.
Wärmer als aktuell in Europa
Die Lufttemperatur betrug im Jahresdurchschnitt etwa 12 Grad Celsius. Das heißt, zur Kreidezeit war es in der Südpolarregion im Mittel etwa zwei Grad wärmer als aktuell in Deutschland. Die Sommer im Südpolargebiet waren im Schnitt circa 19 Grad Celsius warm; die Wassertemperatur der Flüsse und Sümpfe stieg auf Werte um die 20 Grad Celsius.
Diese neuen Vegetations-, Temperatur- und Niederschlagsdaten aus der Westantarktis nutzten die Forscher anschließend als Zielangabe für Simulationen des Klimas der mittleren Kreide in einem Klimamodell.
Ihre Berechnungen mit einem Paläo-Klimamodell ergaben folgende Bedingungen: Der antarktische Kontinent musste von einer dichten Vegetation bedeckt sein, es durfte in der Südpolarregion keine Landeismassen von der Größe eines Eisschildes geben und die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre war offenbar weitaus höher, als dies bislang für die Kreidezeit angenommen wurde.

Eisschild kühlt heute enorm
„Bis zu unserer Studie ging man davon aus, dass die globale Kohlendioxidkonzentration im Zeitalter der Kreide bei etwa 1000 ppm lag. In unseren Modellversuchen aber waren Konzentrationswerte von 1120 bis 1680 ppm notwendig, um die damaligen Temperaturen in der Antarktis zu erreichen“, sagt Mitautor und AWI-Klimamodellierer Prof. Dr. Gerrit Lohmann.
Die Studie zeigt somit, welch enorme Wirkungskraft das Treibhausgas Kohlendioxid besitzt und welch wichtige Kühleigenschaft heutige Eisschilde ausüben. „Wir wissen jetzt, dass die Sonneneinstrahlung in der Kreidezeit ruhig vier Monate lang ausbleiben konnte. Bei einer entsprechend hohen Kohlendioxidkonzentration herrschte dennoch ein gemäßigtes Klima ohne Eismassen am Südpol“, erläutert Mitautor Dr. Torsten Bickert, Geowissenschaftler am Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen (MARUM).
Wieso kühlte das Klima ab?
Die große Frage lautet nun: Wenn es damals in der Antarktis so warm werden konnte, was hat dann im Anschluss dazu geführt, dass sich das Klima stark abkühlte und Eisschilde entstanden? „In unseren Klimasimulationen konnten wir darauf noch keine zufriedenstellende Antwort finden“, sagt Gerrit Lohmann. Die Ursachen für solche Kipppunkte zu finden, ist jetzt Aufgabe und Herausforderung der internationalen Klimaforschung.
Finanziert wurde das Forschungsprojekt, insbesondere aber die Polarstern-Expedition PS104, durch Gelder des AWI, des MARUM, des British Antarctic Survey und des britischen International Ocean Discovery Program (UK-IODP).
Die Studie erscheint unter folgendem Originaltitel im Fachmagazin NATURE: Klages, J.P. et al, “Temperate rainforests near the South Pole during peak Cretaceous warmth”, Nature, 1. April 2020, DOI: 10.1038/s41586-020-2148-5