Die Seenotretter griffen zum Fernglas: Was trieb da an diesem trüben Oktobertag 2021 nördlich vom Darßer Ort in der Ostsee? Nur eine alte Mülltonne – oder eine Weltkriegsbombe oder anderer Überrest vergangener Kriege? Der Rettungskreuzer „Nis Randers“ verständigte die Behörden. Die Besatzung eines herbeigerufenen Zollboots bestätigte dann den Verdacht: Das Objekt war ein Torpedo des Typs 53 aus sowjetischer Fertigung.
Ein böser Gruß aus vergangenen Zeiten. Eine U-Boot-Waffe dieses Typs versenkte unter anderem auch das Flüchtlingsschiff „Wilhelm Gustloff“ 1945. Das größte Einzel-Schiffsunglück der Geschichte kostete 9000 Menschenleben. Für den Fund vor Darßer Ort konnten die Behörden indes Entwarnung geben: Das Treibgut hatte keinen Sprengkopf mehr, es war nur die Antriebseinheit. Der halbe Torpedo wurde in Schlepp genommen und später verschrottet.
Nicht immer gehen solche Begegnungen mit der kriegerischen Vergangenheit gut aus: Regelmäßig taucht Militärschrott in den Netzen von Fischern auf. Oder er verhakt sich in Ankern. Oder die Wellen treiben ihn ans Ufer. Weltkriegsbomben und -granaten liegen zu Tausenden an vielen Stellen der Nord- und Ostsee. Explosive Zeitzeugen, die immer noch so gefährlich sind wie vor 75 Jahren. Was tun, wenn so eine Weltkriegsbombe am Anker hängt?


„Sofort die Polizei anrufen“, sagt Hans-Jörg Kinsky vom Kampfmittelräumdienst Schleswig-Holstein. Ist das explosive Objekt schon auf Deck, zum Beispiel im Netz, hilft nur kaltes Blut. Hängt es am Anker, solle man versuchen, es wieder am Grund abzusetzen. „Im Zweifelsfall muss der Skipper dann auf den Räumdienst warten, da man ja nicht weiß, ob das Ding noch weiter dranhängt“, so der Experte gegenüber float.
Position melden und andere warnen
Ob nun als Taucher unter oder als Bootsfahrer über Wasser, grundsätzlich gelte für Munitionsfunde auf See das Gleiche wie an Land: Nicht anfassen, schon gar nicht bewegen! Position merken, Meldung machen, andere warnen. „Für Fischer kann das sogar einen Verdienstausfall bedeuten, wenn die etwas im Netz haben“, sagt der Mann vom Kampfmittelräumdienst.

Für Schäden durch alte Weltkriegsbomben, ob nun durch Detonation oder Kollision, kommt die Kaskoversicherung einer Yacht übrigens nicht auf. „Schäden durch Kriegsmitteleinwirkung sind nicht gedeckt“, so Holger Flindt vom Yachtversicherer Pantaenius zu float. Allerdings können sich Eigner diesen speziellen Schutz dazukaufen, die Mehrkosten betragen maximal zwanzig Prozent zum Kasko-Beitrag.
Brandwunden durch Phosphor-Reste
Besonders mörderisch: die Reste von Brandbomben. Wer den so genannten „falschen Bernstein“ auffischt oder aufhebt und in die Tasche steckt, riskiert schwerste Verletzungen. Es handelt sich um weißen Phosphor, essentieller Bestandteil der gefürchteten Brandbomben. Er entzündet sich bei Raumtemperatur in Reaktion mit dem Sauerstoff der Luft von selbst, erreicht dann Temperaturen von 1300 Grad Celsius.
Strandspaziergänger beobachten mitunter Brände von trockenem Seegras nahe der Brandungszone. Wer das für Auswirkung von Sonnenstrahlen auf Glasresten hält, liegt zumeist falsch. Angespülter Phosphor kann so etwas verursachen. Die meisten Altlasten stammen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die Reste von Nazi-Deutschlands Arsenalen mussten schnellstens entsorgt werden. Man kippte sie ins Meer oder versenkte gleich ganze Schiffe, die es als Ladung führten.
Riesige Mengen kippte man ins Meer
Was heute fassungslos macht, erklärte sich damals aus der schieren Menge: Etwa 70.000 Tonnen chemische Kampfstoffe lagerten um Kriegsende in Deutschland. Dass die Nazis sie nicht eingesetzt hatten, grenzt an ein Wunder. Aber die Massenvernichtungs-Munition musste anschließend schnell verschwinden. Für die Entsorgung von Nervengiften gab es damals noch kein Konzept. Daher entschlossen sich die Siegermächte, sie zu versenken. So geschah es auch mit konventioneller Munition in noch erheblich größerem Umfang.


Insgesamt landeten in der Nachkriegszeit auf diesem Wege rund 1,6 Millionen Tonnen Kriegs-Müll in der Nord- und Ostsee. Seit über 70 Jahren verrotten nun Tausende und Abertausende Sprengkörper mit tödlichem Inhalt in Tiefen zwischen zehn und über tausend Meter. Wie das Beispiel vom „falschen Bernstein“ zeigt, verschwindet das Problem damit nicht einfach. Auch im Wasser geht die böse Saat auf: So ist der Sprengstoff TNT, den die Deutschen im Krieg verwendeten, giftig und krebserregend.