Es ist der Traum der allermeisten Segler, ein Once-in-a-lifetime-Erlebnis. Einmal den Atlantik überqueren, immer gen Westen über den Ozean, das Ziel die paradiesische Inselwelt der Karibik. Endlose Strände, kristallklares Wasser. Sehnsuchtsorte wie Antigua, Martinique, Barbados oder Guadeloupe locken. Segelromantik pur. Doch dieses Jahr ist alles anders. Der Traum ist zum Albtraum geworden. Hunderte Yachten aus aller Welt hängen in der Karibik fest, allein aus Deutschland sind es Dutzende.
Das Virus Covid-19, besser bekannt als Corona, hat auf seinem Zug um die Welt auch vor der Karibik nicht halt gemacht. Die Inselstaaten reagierten schnell – und rigoros. Viele schotteten sich bereits ab. Stündlich ändern und verschärfen sich die Maßnahmen. Einige Yachten irren von Insel zu Insel, dürfen nicht einlaufen. Nicht einmal, um das Schiff zu proviantieren, Diesel und Wasser zu bunkern.

Die Konfusion ist groß, die Angst wächst. Denn Anker werfen und abwarten, wie sich die Situation entwickelt, geht in der Karibik nicht. Die Hurrikan-Saison naht. Und bis Ende Mai sind es nur noch wenige Wochen. Den sprichwörtlichen „sicheren Hafen“ gibt es nicht mehr. Ein Ausweichen südlich oder nördlich der Zone zwischen dem 10. und 30. Breitengrad ist derzeit unmöglich.
Die USA haben ihre Grenzen geschlossen
Die USA im Norden haben ihre Grenzen geschlossen, ebenso Inseln wie Trinidad und Tobago im Süden. Das Schiff unbemannt zurücklassen ist ebenfalls keine Option. Zum einen gibt es keine Flüge von den Inseln, zum anderen sind die Boote in der Hurrikanzone nicht versichert.

Siri Mannherr hat die Online-Petition Sailing home ins Leben gerufen. Die Berlinerin sitzt auf Grenada fest, einer Insel der Kleinen Antillen. Seit sechs Jahren reist die Berlinerin um die Welt. Sie ist gut vernetzt in der Community der Weltumsegler und Live-on-boards. Ihr jüngster Auftrag: Als Co-Skipperin einen Katamaran von Grenada über Martinique und die Bermudas nach Europa zu segeln.
Der Eigner darf nicht nach Grenada einreisen
Doch der Eigner hängt auf Martinique fest, er darf nicht nach Grenada einreisen. Und auch die Crew aus Deutschland und Mexiko, die in Martinique aufgenommen werden sollte, darf die Karibik nicht mehr anfliegen. „Jetzt muss ich den Kat irgendwie alleine nach Martinique bringen“, sagt Siri Mannherr. Sie hofft, dass sie dann überhaupt noch die Insel anlaufen darf.

So wie Mannherr geht es derzeit vielen Skippern. Ob Einhandseglern, Senioren oder Familien. Sie müssen die Karibik verlassen. Viele nehmen für die schwierige Passage nach Europa normalerweise Crew an Bord. Doch das ist nun unmöglich. Einreiseverbot! „Das ist unverantwortlich“, sagt Mannherr.
Sie weiß von einigen Booten, auf denen nur noch der Eigner ist, weil die Familie einen der letzten Flüge in die Heimat genommen hat. „Soll der jetzt alleine über den Atlantik segeln?“, fragt die 50-Jährige. Ganz abgesehen davon, dass die übliche Route gen Norden geschlossen ist.

Wie auf der Webseite noonsite nachzulesen ist, sind derzeit nur noch St. Vincent und die Grenadinen, Antigua und Barbuda, Jamaica und die Virgin Islands geöffnet. Und das teilweise auch nur mit Einschränkungen. 17 Inselstaaten haben komplett dicht gemacht, sechs haben einen sogenannten „Lockdown“ ausgerufen, also eine aus Sicherheitsgründen angeordnete Abriegelung.
Drei Inselstaaten haben eine 14-tägige Quarantäne als Auflage. Wer nach Europa segeln muss, kann also nicht die übliche Route über die nördliche Karibik ansteuern. „Die Länge der Passage über den Atlantik verdoppelt sich für einige – je nach Ausgangshafen“, sagt Mannherr.
Skurrile Szenen spielten sich teilweise ab. Auf Martinique sei zwar der Lockdown auf den 15. April verschoben worden, sagt Mannherr, aber Segler dürften sich nur noch in einem Radius von 50 Metern um ihr Schiff aufhalten. Boote, die bereits auf Martinique liegen, dürften nicht mehr bewegt werden. Helikopter überwachten das Feld der Ankerlieger. Eine 19-jährige Schwedin ohne Erfahrung habe gerade einen gecharterten Katamaran alleine nach Martinique motort, nachdem sich Skipper und Crew in St. Vincent abgesetzt hätten. Die Charterbasis sei nicht mehr erreichbar.

Die internationale Community rückt zusammen
Die internationale Community der Segler in der Karibik rückt in dieser Krisenzeit noch dichter zusammen, organisiert sich über soziale Medien. In der englischsprachigen WhatsApp-Gruppe „Sailing home“ haben sich binnen weniger Stunden über 200 Segler angemeldet, die sich austauschen und gegenseitig helfen, wie sie die Flucht nach Europa organisieren. Sofern sie dort noch einlaufen dürfen. Gestern Nachmittag MEZ gründeten die deutschen Segler eine eigene Gruppe.
In nur wenigen Stunden hatten sich bereits über 40 Skipper angemeldet, die in der Karibik festsitzen. Einige müssen ihre Träume begraben, die Welt zu umsegeln, andere bangen um ihre Crew, die nicht einreisen kann.
Andere nehmen die Situation mit Humor. Wie der Weltumsegler Michael Jungclaus, ein ehemaliger Brandenburger Landtagsabgeordnete der Grünen. Er sitzt mit seiner Frau in Kolumbien fest. „Wir haben es noch rechtzeitig vor dem Einreisestopp in den Hafen von Santa Marta geschafft“, sagte Jungclaus kürzlich gegenüber der Berliner Zeitung B.Z. „Aber jetzt dürfen wir nicht mehr ausreisen, auf unbestimmte Zeit. Nicht mal nach Deutschland. Vielleicht müssen wir bis Januar 2021 in Kolumbien bleiben. Wir fühlen uns sicher, haben genug Proviant. Jetzt wollen wir Spanisch lernen.“
Für die Segler, die aber zurück nach Europa segeln wollen, gibt es mittlerweile eine Liste, in die sich die Skipper eintragen können. So tauschen sie untereinander Kontaktdaten aus, geben Standorte an und Pläne, wann und wie sie die Karibik verlassen wollen. Darunter Boote aus allen skandinavischen Ländern, Großbritannien, Irland und natürlich Deutschland.

Bereits wenige Stunden nach Erstellung der WhatsApp-Gruppe konnte der deutsche Skipper Wolfgang Bee von der SV Saoirse eine gute Nachricht verbreiten. Zusammen mit seiner irischen Frau und seinen zwei kleinen Kindern lebt er seit zwei Jahren auf seiner Hanse 455 und besegelt die Welt. Erst im kommenden Jahr, wenn die Tochter schulpflichtig wird, wollten sie zurück in Deutschland sein. Jetzt werden sie den Sprung über den Atlantik eher wagen müssen.
Die Lage auf den Inseln ist unübersichtlich
Die junge Familie liegt derzeit auf St. Martin, einem französischen Überseegebiet. „Unser Plan ist es, hier solange auszuharren, bis das Wetter eine Überquerung möglich macht“, sagt Bee. „Wir liegen gut geschützt in der Marina, quasi in „Europa“, können proviantieren und unsere deutschen Telefonverträge nutzen. Unter den momentanen Umständen könnte es schlechter sein“, sagt Bee. „Bewegen werden wir uns mit Sicherheit nicht.
Dafür ist die Lage auf den Inseln zu unübersichtlich und die Einreisebeschränkungen werden stündlich schärfer. Am Ende werden wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit direkt von hier Richtung Azoren segeln und von dort weiter nach Irland. Vermutlich gemeinsam mit einigen Booten aus der Liste.“
Diese „Liste“ ist es auch, die den Seglern Hoffnung macht. Die Bundespolizei hat Bee kontaktiert und um Zugriff auf die Liste der Segler gebeten. Ein Hoffnungsschimmer, dass die Segler in der Karibik nicht vergessen werden. Die Bundespolizei will zu jedem Segler auf der Liste Kontakt aufnehmen. „So eine Liste kann später nützlich sein, muss sie aber nicht. Im Moment gibt sie der Bundespolizei aber einen ersten Überblick über ihrer Schäfchen in der Karibik“, sagt Bee.

Das Interesse der Bundespolizei an den deutschen Seglern ersetzt die Petition Sailing home daber noch lange nicht. Siri Mannherr geht es auch um ein ganz generelles Problem, das die aktuelle Krise nun ans Tageslicht gefördert hat. „Warum gibt es keine Quarantäne-Stege in allen Häfen? Warum ist eine Versorgung mit Wasser, Diesel und Proviant nicht immer möglich?“, fragt sie und fordert: „Es muss auf den Azoren, Madeira und den Kanaren Nothäfen geben. Dafür sind Häfen da!“
4 Kommentare
[…] uns gegenseitig, was wo, wie möglich war. Auch erhielt ich etliche Anfragen von Zeitungen, wie dem Floatmagazin und dem Spiegel über die derzeitige Situation. Überall auf der Welt stand die Zeit still und […]
[…] gestellt werden. Und wir hatten mit unserer zeitigen Ankunft in Kolumbien noch Glück im Unglück. Viele unserer Segelfreunde sitzen derzeit nördlicher in der Karibik fest. Dort wo im Juni die Hurrikan-Saison beginnt. Besonders schlimm hat es diejenigen erwischt, denen […]
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