So etwas gab‘s noch nicht in Deutschland. Der Bund will ein Stück Fluss verkaufen: Die letzten 820 m Jeetzel, die das beschauliche Städtchen Hitzacker – im Kreis Lüchow-Dannenberg in Niedersachsens wildem Osten – umfließen. Die Jeetzel ist ein Gewässer erster Ordnung und die 820 Meter Mündungsstrecke in Hitzacker zählen zu den sogenannten sonstigen Binnenwasserstraßen des Bundes. Das Wasser- und Schifffahrtsamt hatte früher hier an der Mündung zur Elbe seine Vermessungsschiffe liegen, aber das Amt hat den Hafen verlegt. Nun gibt es für das Stück Fluss keine Verwendung für den Bund mehr.
Auf diesem Stück Jeetzel in Hitzacker herrscht buntes Treiben: Ein Restaurant-Boot lockt täglich dutzende Menschen an. Auf dem Zollboot kann man heiraten. Die Personenfähre hat hier ihren Liegeplatz. Das Sofafloß des Museums sorgt für ein ganz besonderes Vergnügen auf der Elbe. Und nicht zu vergessen: die ganzen Boote, die hier liegen. Die Jeetzel ist das touristische Aushängeschild des Städtchens. Sie ist sozusagen die Quelle, die Hitzacker wirtschaftlich speist.
100 Euro für einen Meter Fluss
Die Bürger der Stadt sind empört: Ein Stück ihres Flusses soll für 95.000 Euro verkauft werden? Gerd Neubauer gründet spontan mit einigen Mitstreitern im November 2016 einen Verein, den sie „Gemeinsam für Hitzacker“ nennen. Sie wollen der Stadt beim Kauf des Flussstücks mit Spenden unter die Arme greifen. Denn die Stadt ist pleite – chronisch pleite. Zwar hat der Bund ihr – freundlicherweise – ein Vorkaufsrecht eingeräumt. Doch ein Stück Fluss zu kaufen, das passt nicht ins Budget. Der Verein hat eine Idee: Mit dem Kauf von Jeetzel-Aktien könnte die Bevölkerung den Fluss vor dem Privatverkauf retten. Mit 100 Euro ist man dabei – einen Meter Fluss gibt es für diesen Betrag. Innerhalb kürzester Zeit kommen 50.000 Euro, über die Hälfte der benötigten Kaufsumme von 88.600 Euro, zusammen.

Doch die Zeit drängt, denn schon Ende Dezember endet das Vorkaufsrecht. Der Verein hat eine Vision: Er will der Stadt das Flussstück zu Weihnachten schenken. Damit ihre Lebensader, die Jeetzel, die ein ein wichtiger Teil der touristischen Infrastruktur ist, nicht privatisiert wird. Ein hoch gestecktes Ziel. Der Verein sucht sich Unterstützung von prominenter Seite. Die Bundestagsabgeordnete Hiltrud Lotze (SPD) und die beiden Grünen-Landtagsfrauen Miriam Staudte und Dr. Julia Verlinden haben sich dem Kampf um die Jeetzel ebenfalls verschrieben. Ihnen gelingt es, das Vorkaufsrecht auf Ende März 2017 zu verschieben.
Es sind drei Monate, in denen die Gerüchteküche kocht. Das Gerücht, dass der reichste Immobilienbesitzer aus Hitzacker das Stück Jeetzel kaufen will, hält sich am hartnäckigsten. Diesem gehört schon so einiges in der Stadt: der Yacht-Hafen, die Personenfähre und ein Hotel, das direkt am Objekt der Begierde liegt. Und Einfluss hat er auch als stellvertretender Bürgermeister. Die Bewohner vermuten, dass es mit ihm nun einen konkreten Interessenten für den Flusslauf gibt, der dem Verein zuvorkommen könnte. Was hat er mit dem Fluss wohl vor? ‚Gar nichts‘, er will das Stück Fluss nicht haben, sagt er.
Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die mit dem Verkauf beauftragt worden ist, erhöht den Kaufpreis. Man habe zuvor die touristischen Einnahmen nicht bedacht und den Verkehrswert deshalb heraufgesetzt: Aus anfänglich 88.600 werden 95.000 Euro. Offenbar hat man beim Bund erst jetzt erkannt, welche touristische Bedeutung die Jeetzel für Hitzacker hat. Doch dass man so einen Fluss nicht einfach verhökern kann, davon will man beim Bund nichts wissen. Damit rückt das Ziel, die Kaufsumme über Spenden zu finanzieren, ein Stück weiter in die Ferne.

Ein Hoffnungsanker
Im Februar gibt Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) überraschend bekannt, dass das Land Niedersachsen Interesse an dem Stück Jeetzel hat. Nein, etwas vorsichtiger: „Wir lehnen eine Übernahme nicht grundsätzlich ab“. Ist der öffentliche Druck zu groß geworden? Das erste Mal ist so etwas wie ein Aufatmen zu hören. Nach zwei Monaten Vollgas nun ein Gang langsamer. Es ist der erste Schritt in die richtige Richtung, findet man in Hitzacker. Der große Teil der Jeetzel gehört sowieso schon dem Land. Warum dann nicht auch noch die restlichen 820 Meter? Wer stellt eigentlich den Hochwasserschutz sicher, wenn die Jeetzel nicht mehr in öffentlicher Hand ist? Und was ist mit den Bewirtschaftungskosten, wenn die Stadt Hitzacker den Fluss übernehmen würde – egal, ob geschenkt oder nicht? Was kostet es eigentlich, einen Fluss zu besitzen? Nachgefragt beim Bundesministerium für Finanzen, heißt es nur: Es gibt keine Auflistung der Kosten für diesen Abschnitt. Umso mehr ist man in Hitzacker über die Botschaft aus der Landesregierung erleichtert.
Und jetzt? Beim Verein ist man vorsichtig, noch knallen keine Korken, denn die Frist vom 31. März steht noch im Raum. Die Verhandlungen mit Bund und Land laufen zäh. Tage verstreichen, die Frist rückt näher. Keine neuen Nachrichten aus dem Umweltministerium. Der Verein mobilisiert weiter und stellt einen Aktionstag rund um die Jeetzel auf die Beine zu dem 200 Menschen kommen. ‚Was bedeutet euch dieser Fluss?‘ fragen sie die Besucher. Und zeigen an diesem Tag, wie viel Leben darauf herrscht. Die Zeit drängt. Nur noch wenige Tage, dann beginnt das offene Bieterverfahren. Der Höchstbietende gewinnt. Verliert Hitzacker?
Dienstag, der 14. März ist ein Tag, den man sich in Hitzacker wohl so bald nicht vergessen wird. Der öffentliche Druck scheint die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die den Verkauf vorantreibt, umgestimmt zu haben. Und so verkündigt Hiltrud Lotze von der SPD: Der Verkauf ist gestoppt, die Bundesanstalt verzichtet auf einen Privatverkauf. Die Jeetzel bleibt in öffentlicher Hand.
Nun geht es darum, zu welchen Bedingungen eine Übertragung des Flussabschnitts der Jeetzel in Hitzacker vom Bund auf das Land erfolgen soll. Eike Weiss, Presseprecher von ”Gemeinsam für Hitzacker“ ist zuversichtlich, was die Äußerungen der niedersächsischen Landesregierung und der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben betrifft: “Wir fordern den Bund auf sich zu bewegen und den Jeetzel-Abschnitt dem Land kostenlos zu überlassen. Flüsse müssen in öffentlicher Hand bleiben!“