Mein Traum war immer, mit dem Schiff in New York anzukommen – auf einem dieser alten Transatlantikdampfer. Drei Wochen lang über den Ozean zu fahren um die Entfernung zu spüren, die es braucht, um die eine Welt zu verlassen und eine andere zu betreten. So wie Millionen Auswanderer im vorletzten Jahrhundert es taten, als sie aufbrachen mit dem Versprechen auf ein besseres Leben.
Ich besuchte Bremerhaven, stand am Terminal und sah die Riesen, die dort an- und ablegten, wandelte durch das Auswanderer-Museum, das all denen gewidmet ist, die den großen Sprung über den Teich wagen mussten, weil es hier nicht genug gab für sie – von einem sicheren Leben. Unter Deck hörte ich ihre Stimmen, die in der dritten Klasse jämmerlich, eingepfercht auf zu wenig Raum, oft die Reise nicht überlebten. Anders als die, die in der ersten Klasse die frische Brise an Deck einatmeten.

Während meines Fotografie-Studiums lernte ich seine Bilder kennen und in ihnen seinen Blick auf Amerika: Robert Frank. Er hat mein fotografisches Sehen wesentlich geprägt. Eines dieser Bilder zeigt einen alten Mann der auf einem Schiff an der Reling steht. Das Foto entstand kurz vor Franks Ankunft in New York.
Einige Jahre später verließ ich Spanien und ging für meine Abschlussarbeit nach Berlin. Ich kam in eine offene Stadt, in der man frei sein konnte – so frei wie sonst nur in New York.
Dort lernte ich meinen Lehrer Arno Fischer kennen und der Kreis schloss sich. Arno Fischer, der große Fotograf der DDR, fotografierte New York Mitte der 1980er-Jahre. Eines seiner Bilder zeigt einen alten Mann auf der Staten Island Ferry, es sieht dem von Robert Frank Mitte der Fünfziger verblüffend ähnlich. Robert Frank und Arno Fischer waren Freunde. Sie waren im fotografischen Geiste gleich.

Viele Welten in einer
Ich war immer noch nicht in New York gewesen. Mein Traum erfüllte sich nicht. Erst 2005 stieg ich in ein Flugzeug und überquerte ganz profan den Atlantik durch die Luft: Berlin – New York. Hatte ich wie viele gedacht, Berlin sei inzwischen die freieste Stadt der Welt, belehrte mich New York eines besseren. Nie zuvor hatte ich eine solche Beweglichkeit im Geist, eine so große Offenheit und Lebendigkeit erlebt. Viele Welten in einer.
Eines Morgens stieg ich auf die Fähre nach Staten Island, um Fotos zu machen – meine Hommage an Arno Fischer und Robert Frank.
Jetzt zusehen zu müssen, wie New York durch die narzisstische Blasiertheit eines unfähigen Präsidenten täglich an Leben verliert, bricht mir fast das Herz. Und gleichzeitig bin ich unendlich dankbar, dass Berlin in guten Händen ist – in diesen Tagen, in denen nichts ist, wie es gerade eben noch war.
Im letzten Sommer sah ich gebannt zu, wie Greta Thunberg und Boris Herrmann auf der Malizia unter Segeln New York erreichten. Es war ein ganz besonderer Moment für mich, in dem die Kraft des freien Geistes, der Glaube an Veränderung und der Wille zur Erneuerung in einem Bild kulminierten: Als das Schiff an der Freiheitsstatue vorbeisegelte. Es braucht diese Bilder, sie sind ikonisch.