Früher war alles besser. Die beliebte Floskel für Griesgrame ist auch unter Seglern in der Karibik verbreitet, vor allem unter denen, die schon seit vielen Jahren die Kleinen Antillen befahren. Denn die Karibik ist im Wandel. Mehrmals haben wir auf unserer Reise mit der Dilly-Dally Segler getroffen, die wehmütig von der guten, alten Zeit sprachen, bevor der Massentourismus an Land und unter Segeln, sei es Charter oder Langfahrtsegler, wie eine feindliche Armada auf den Eilanden einfiel.
Von daher kann ich sie verstehen, die Nörgler. Zumindest teilweise. Denn auch wir hatten andere Vorstellungen. Früher war zumindest vieles anders. Ob es jetzt besser oder schlechter ist, liegt im Auge des Betrachters. Wenn in einer Bilderbuchbucht plötzlich ein Hotelbunker erwächst, ist das für den ankernden Segler natürlich blöd. Ziemlich wahrscheinlich auch für die Umwelt. Aber für den, der vom Hotel aus auf den ankernden Segler schaut, ist es schön. Für den, der im Hotel Arbeit gefunden hat, noch viel besser. Überrascht waren wir, wie groß das Engagement Chinas in der Karibik ist.

Auf vielen Inseln (die französischen einmal ausgenommen) ist Peking stark aktiv. China baut Flughäfen, Straßen und investiert auch in den Tourismus. Dominica ist so ein Beispiel, aber auch Grenada. Auf jeder Insel, die wir in der Karibik besuchen, machen wir natürlich auch Landausflüge. Mal auf eigene Faust, mal mit einem einheimischen Reiseführer. Wir sind erstaunt, wenn mitten im Dickicht des Regenwaldes plötzlich laute Bauarbeiten ertönen, riesige Flächen gerodet werden und dort ein Luxushotel entsteht.
Die Einheimischen freut’s
Kevin, unser Guide auf Dominica, findet das gut. Dexter, unser Fahrer auf Grenada, hält stolz vor einer Tafel, auf der ein riesiger Hotelklotz abgebildet ist, der hier im Norden der Insel im Bau ist. Nur wenige hundert Meter weiter steht ein weiteres Schild. Darauf seltene Meeresschildkröten, die hier brüten. Dexter lächelt verlegen. Für die Umwelt ist das Bauprojekt wahrscheinlich nicht gut, sagt er. Aber für die Menschen. Und natürlich auch für ihn als Tourguide.
Als wir im Sommer 2022 die Türkei Richtung Westen verlassen haben, um den Atlantik zu queren, hatten wir ein leicht idealisiertes Bild der Karibik von einsamen Stränden und bunten Korallenriffen im Kopf. Mit Postkartenmotiven vor der Augen und Adrenalin im Blut begaben wir uns auf die Spuren der großen Entdecker. Wir waren gewappnet für eines der letzten großen Abenteuer dieser Zeit: die Atlantiküberquerung auf eigenem Kiel und auf eigene Faust, ohne betreutes Segeln wie bei der ARC. Wir waren voller Vorfreude und trauten uns das zu.

Früher war vieles schwieriger. Eine Atlantiküberquerung ist auch heute noch spannend und anstrengend zugleich. Aber relativ einfach zu bewältigen. Statt bewaffnet mit Sextant und Sternenkarte, setzten wir Wegpunkte auf dem Kartenplotter, programmierten den Autopiloten und luden täglich zweimal den neuesten Wetterbericht über die Satellitenkommunikation herunter. Die Solarpaneele versorgen die Bordelektrik, liefern genug Saft, um Kühlschrank und Gefrierbox zu betreiben. Der Wassermacher produziert frisches H2O. So viel zum Abenteuer.
Segeln mit dem Seewolf
Menschen machen Orte, sagte einmal mein südafrikanischer Stegnachbar in der Türkei. Und er hatte Recht. Seit fünf Jahren lebe ich auf meinem Boot, wir haben in einem Dutzend Ländern Anker geworfen, vor herrlichen Kulissen und pittoresken Städtchen. Aber es sind viel zu viele Orte, um sich an alle im Detail zu erinnern. Was aber im Kopf hängenbleibt, sind Begegnungen. Fast täglich haben wir Bekanntschaft mit Einheimischen oder anderen Seglern gemacht, manchmal wurden aus Fremden Freunde. Eine, eher flüchtige, Bekanntschaft ist uns aber besonders in Erinnerung geblieben.
Bei der morgendlichen Gassirunde an einem Strand auf Antigua kam ich mit einem älteren Herren ins Plaudern. Ein Kanadier mit deutschen Wurzeln, der auf der Insel in Jolly Harbour lebt. Spontan lud er uns zu sich nach Hause ein. „Kommt doch einfach mal vorbei“, sagte der Mann. Leider waren wir an diesem Tag bereits mit Freunden verabredet. Aber das Schicksal meinte es gut mit uns. Am nächsten Abend, wir genossen gerade einen Sundowner in einer Beach Bar, sahen wir den Mann erneut, wie er am Strand spazieren ging. Wir luden ihn auf ein Bier ein. Eine Stunde später saßen wir bei ihm im Wohnzimmer, in einem dieser herrlichen Bungalows direkt am Wasser mit Boot am eigenem Steg.

Jochen Neumann, so der Name des 80-Jährigen, ist nicht nur Unternehmer, vor allem ist er ein Abenteurer – zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Zu seinen Freunden zählten der verstorbene Philippe Cousteau, der Sohn des legendären Meeresforschers Jacques Cousteau, und Raimund Harmstorf, den viele als den „Seewolf“ kennen. Neumann lernte den Schauspieler beim Segeln auf dessen privater Karibikinsel vor Grenada kennen. Seit einigen Jahren ist Neumann mit der deutschen Schauspielerin Katerina Jacob verheiratet.
50 Jahre früher
In den 70er Jahren, da war Neumann erst Mitte 20, ließ er sich in den Niederlanden eine Expeditionsyacht bauen und erkundete die Karibik, teilweise begleitet von einem Kamerateam des ZDF. 50 Jahre später schauen wir die 90-minütige Dokumentation an diesem Abend in Neumanns Wohnzimmer. Über Orte und Inseln, die wir erst kürzlich besucht haben, und doch scheinen sie wie aus einer anderen Welt. Verlassene Buchten, unbebaute Strände, eine unberührte Natur. An Land wie unter Wasser. Und zu jeder fantastischen Sequenz hat Neumann eine noch atemberaubendere Anekdote parat. Abenteuer pur.