Boote bauen, um Wurzeln zu schlagen. Das Projekt Kystliv Holbaek will den Bürgersinn stärken, indem es Holzsegelboote nach lokaler Tradition baut. Geschichte zu leben heißt, sich zu Hause zu fühlen. Die Isefjord-Boote und Workshops von Kystliv Holbaek stehen aber nicht nur den Menschen vor Ort zu Verfügung. Jeder ist eingeladen, sich einzubringen – und die Idee in die Welt zu tragen.
Mathematik und Romantik
Der Bootsbauer Ture Møller und der Lehrer und Skipper Carsten Hvid, Absolvent der Handwerksschule Folsen Folkehøgskole, haben 2015 einen Plan entworfen, um maritime Geschichte und Arbeiten mit der Natur für post-industrielle Gemeinschaften wieder relevant zu machen.
Die Kommune Holbaek stand vor der gleichen Aufgabe. Über Jahrzehnte bestimmte der Schiffbau Wirtschaft und Selbstverständnis der Hafenstadt nördlich von Kopenhagen. Aber längst ist die Werft eingestellt, die Militärbasis geräumt, die Lehrerausbildungsstätte geschlossen. Die Stadt braucht eine neue Erzählung, an der sich Gemeinschaft konstituieren kann.
Ture Møller und Carsten Hvid bieten mit ihrer paradoxen Formel „Boote bauen, um Wurzeln zu schlagen“ den passenden Lösungsansatz. Kystliv Holbaek engagiert sich genauso für altes Bootshandwerk wie für die pädagogische Umsetzung. Unterrichtsstoff aus Geschichte, Mathematik oder Physik verbinden die Boote mit Abenteuer und Romantik. 15 Freiwillige können gleichzeitig in der Werft an den Holzsegelbooten mitbauen.
Ab Sommer 2021 kommt eine zweite Werkshalle für weitere 15 Arbeitsplätze dazu. Das Projekt deckt den kompletten Prozess vom Schlagen des Holzes im dänischen Forst bis zum Stapellauf und dem Segelbetrieb ab. Die ersten Boote sind Ende letzten Jahres zu Wasser gegangen, fünf weitere sollen in der Saison 2021 folgen. Der Typus orientiert sich streng an den Isefjord-Booten, mit denen die Fischer der Region den gleichnamigen Wasserarm befuhren. Think global, act local. Hätten Ture und Carsten ihre Werft am Stettiner Haff eingerichtet, würden sie Zeesen-Boote nachbauen.
Boote machen Schule
In dieser ersten Phase des Projekts sind vor allem Schüler und Lehrer angesprochen, dann die Bewohner der Kommune – letztlich aber alle, die im praktischen Einsatz eine Vergangenheit rekonstruieren wollen, um sich besser in der Gegenwart verankern zu können. „Verstehe mich nicht falsch“, betont Ture Møller im Interview, „ich liebe Holzboote, ich bin Bootsbauer. Aber unser Anspruch geht darüber hinaus. Die Boote sind ein Vehikel für bessere Bildung, bessere Freizeit, besseres Stadtleben. Holzboote mögen in einer modernen Welt ausgedient haben – aber Schulen sind wichtig, Bürgersinn ist wichtig. Genau dazu können unsere Holzboote dienen.“
Für die einsatzbereiten Boote bietet Kystliv Holbaek Patenschaften an. Etwa 15 Paten sollen sich pro Boot zusammenschließen, sich um den Erhalt kümmern und vor allem in ihrer Freizeit damit segeln. Die gaffelgetakelten Kutter lassen sich alleine oder mit Crews bis zu sieben Personen segeln.
Paten aus dem Nachbarland Deutschland sind willkommen. Interessenten können gerne bei Ture Møller anklopfen. Die Sonne durchs Toppsegel schimmern zu sehen und dem Knarzen des Holzrumpfes zu lauschen, während man vom Isefjord in den Roskilde-Fjord steuert – hyggeligeren Anschauungsunterricht übers Leben wird man wohl nirgends bekommen.