Im Herbst letzten Jahres erschien auf float ein Artikel über das Segelrevier Nordsee. Stephan Boden hat darin seine Erfahrungen und Sichtweise als Ostsee-Segler auf der Nordsee beschrieben. Ich, als float-Autor und Nordsee-Fan, muss jetzt einmal für mein Lieblingsrevier in die Bresche springen: mein Plädoyer für die Nordsee.
Ja, richtig. Ich bin Segler und gehöre zu den bekennenden Freunden der Nordsee. Dem Revier, das die Törnzeiten diktiert. Dem Revier, wo sich durch die Gezeiten die Reisegeschwindigkeit extrem erhöhen kann oder einen Törn ganz zum Erliegen bringt.

Sollen wir nach dem Orkan wirklich raus?
Kurz nach Erscheinen von Stephans Artikel war ich noch auf der Nordsee unterwegs. Um genau zu sein: Ein Tag, nachdem Orkan Sebastian gewütet hatte, war unser Auslaufen von Harlesiel aus geplant. Sollten wir wirklich raus? Ein Törn nach Helgoland schied schon einmal aus. Bei der draußen stehenden Welle musste das nicht wirklich sein. Wir beschlossen auszulaufen und uns ein bisschen im Wattenmeer aufzuhalten.
Am Donnerstag wurde unsere zwölf Meter lange Stahlyacht beladen, wir haben dicke Klamotten eingepackt, dann ging es zu zweit los. Wir waren das einzige Boot in der Schleuse. Offenbar gab es nicht so viele, die wie wir hinaus wollten.
Wenn der Wetterbericht lügt – oder auch nicht
Dennis hatte mir von einer Bucht zwischen der Außenküste von Spiekeroog und einer Sandbank erzählt. Dort wollten wir unsere erste Nacht verbringen. Das Wetter war auf unserer Seite, auch wenn der Wetterbericht Regen ohne Unterbrechung gelogen hatte. Die Kleidung für Schwerwetter konnte unter Deck bleiben, und wir segelten das Fahrwasser hinaus in Richtung Wattenmeer.
Am Ende des Leitdamms ging es hart Backbord. Unser Timing war perfekt. Ein Meter Wassertiefe bei einem Tiefgang von rund 80 cm. Der Kurs ging quer rüber in Richtung Wattfahrwasser, sprich auf den Prickenweg zu. An diese Wegmarke mussten wir uns erst einmal noch halten. Die Windrichtung machte es uns möglich, den Windungen des Fahrwassers unter Segeln zu folgen.
Leider kam mit der Flut dann auch der Regen. Es wurde zugegebenermaßen ein wenig kühl und ungemütlich. Mit einbrechender Dunkelheit erreichten wir unser Tagesziel. Über die Sandbank hinweg konnten wir die weißen Schaumkronen der durch den Orkan aufgewühlten Nordsee sehen. Doch wir lagen geschützt vor Anker.
Der nächste Morgen begrüßte uns mit Sonnenschein. Wir suchten die Badesachen raus bei Lufttemperaturen um 16°C und mit zirka 18°C noch eben warmem Wasser. Mit dem Schlauchboot ging es zur Sandbank und dann ins Wasser. Herrlich!
Die Gezeiten bestimmen das Timing
So gerne wir auch den ganzen Tag dort verweilt hätten … Wir wollten es bis Baltrum schaffen, und die Gezeiten gaben uns daher die Aufbruchzeit vor. Also Anker auf und vorsichtig aus der Bucht heraus. Jetzt am hellichten Tag konnten wir besser erkennen, wie die Einfahrt in die Bucht zwischen dem Ausläufer einer Buhne und der Sandbank verläuft. In der Abenddämmerung hatten wir uns vorwiegend nach GPS und den Ortskenntnissen vorgetastet.
Im Hauptfahrwasser stand noch immer eine ordentliche Welle, die sich erst unter Landschutz beruhigte, bis dahin aber viel Spaß und Gischt für uns verhieß. Unser Tagesziel erreichten wir mit dem letzten Schimmer Tageslicht. Wir machten am wackeligen und rutschigen Plastiksteg auf Baltrum fest, um dann in den Ort zu gehen.
Während des Abendessens überlegten wir dann, wie der nächste Tag aussehen sollte. Da wir sonntags zurück sein wollten, stand zumindest schon einmal die Richtung fest. So ist die Nordsee. Eine Entscheidung fällten wir abends nicht, sondern erst am nächsten Morgen nach dem Brötchenholen. Wir beschlossen in Richtung Neuharlingersiel zu segeln und uns dort am Beginn des Prickenweges trocken fallen zu lassen. Dort lag einst der Ort Otzum, der vermutlich um 1500 aufgegeben wurde. Im Watt findet man heute noch Überreste. Gesagt, getan – zwei Männer, ein Wort.

Wattenmeer-Spezialität: Trockenfallen
Trockenfallen gehört zu den Dingen, die man in der Ostsee nicht erleben kann. Wir suchten uns neben dem Fahrwasser eine Stelle, die – nach einem Test mit dem Bootshaken – relativ gleichmäßig war. Es gab hier keine Abbruchkante eines Priels oder Ähnliches. So ließen wir das Boot dort trockenfallen.
Bei einem heißen Tee und knisterndem Feuer im Holzofen an Bord warteten wir ab, bis wir ins Watt konnten, um nach „Schätzen“ zu suchen. Wir fanden ein paar Backsteinüberreste und eine Rippe, die vermutlich von einem Rind stammte. Viele Spuren deuteten darauf hin, dass hier vor langer Zeit wirklich Menschen gelebt haben könnten.
Das Kommen der Flut beobachteten wir dann, leider mit dem angekündigten Regen, von einer Position unter Deck aus. Eine Option für den weiteren Verlauf unseres Törns war eine Sandbank in der Nähe des Seegatts zwischen Spiekeroog und Wangerooge. Oder: noch einmal die „Lagune“ der ersten Nacht. Wir entschieden uns für die zweite Option.

Diesmal hieß es, bei auflaufendem Wasser den Weg zu meistern. Mitten im Fahrwasser herrschte eine extreme Gegenströmung. Also galt es, mittels Echolot immer an der Kante zu den Untiefen lang zu fahren, wo die Strömung geringer war. Zwischendurch mussten wir die Maschine zur Hilfe nehmen, um das Tagesziel zu erreichen.
Anker fällt! Und die Seglergespräche an Bord beginnen … Am nächsten Morgen wurde uns bewusst, dass der Törn zu Ende geht. Wir beobachteten noch einen fitten Kiter, der mehrfach knapp an unserer Segelyacht vorbeifuhr. Dann hieß es für uns auch schon „Anker auf“ und zurück nach Harlesiel.
Das Fazit nach rund vier Tagen an Bord: kein Stress, nur gesteuert durch Wind und Gezeiten. Ruhe, Baden und Seehunde. Das ist Segeln auf der Nordsee. Ich muss also widersprechen: Die Nordsee ist einfach schön!