Jedes Jahr Anfang Oktober findet vor Triest der Segelwettbewerb der Superlative statt. Erdacht vor 49 Jahren von vier Seglern aus der Laune eines Augenblicks in einer Bar, trotzten die vier Gründer hartnäckig dem Segel-Establishment von Triest einen Termin für ihre Regatta ab. Sie ergatterten mit dem zweiten Oktoberwochenende einen der letzten Termine vor den Herbststürmen – wenn alle großen Regatten Italiens längst gelaufen waren und man sich dem Privaten zuwenden konnte. 51 Schiffe gingen zur ersten Barcolana an den Start, der Rest ist Regatta-Geschichte.
Letztes Jahr knallten bei Starkwind die Spinnaker wie Sektkorken
Auf dem 13 Seemeilen langen Viereckskurs tragen heute die üblichen Verdächtigen der High-Class des Segelsports ein extrem schnelles Rennen aus. Im Grunde sind es wohl zehn Boote, die sich echte Siegchancen in einem Feld ausrechnen können, das dieses Jahr mit 2.101 Booten alle Dimensionen sprengte und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Guinness Buch der Rekorde landen wird.

Unberechenbare Windverhältnisse
Die Triestiner Bucht ist windtechnisch ein unberechenbares Revier. Wo im letzten Jahr die Bora dafür sorgte, dass der Start verschoben werden musste und während der Rennen die Spinnaker wie Sektkorken knallten, wenn sie in einer Böe nach der Wendemarke zerbarsten, war da dieses Jahr … nichts. Ein laues Lüftchen, ein Hauch von 10 bis 12 Knoten, der sich eher für einen Familienausflug am Sonntag eignet als für ambitioniertes Segeln.
Sicherlich war das ein Grund, warum dieses Jahr Meldungen bis zur letzten Minute reinkamen. Wer sich einschreiben wollte, konnte bequem und kostenlos per Taxiboot von der Piazza dell’Unità zum Yachtclub Barcola gelangen, der die Regatta veranstaltet. Doch die wahre Kunst des Regattasegelns zeigt sich nicht bei Starkwind, sondern, wenn es gemütlich zugeht.
Während auf den kleineren Booten also schon mal Pizza und Prosecco ausgepackt wurden, lieferten sich die Crews der jüngst auf „Spirit Of Portopiccolo“ umbenannten Maxiyacht der beiden Brüder Furio und Gabriele Benussi ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit „Maxi Jena“ und gingen in gerade einmal einer Stunde, 12 Minuten und 17 Sekunden durchs Ziel. „Pendragon VI/Alilaguna“ und „Freccia Rossa“ folgten auf dem dritten und vierten Platz.


Chancenlos, aber begeistert dabei
Wer sich dem Wettbewerb allein als einem Rennen der Superlative nähert, der irrt. Die Barcolana ist ein Volksfest des Segelns. Einerseits lassen sich Maxiyachten direkt an der Piazza der Einheit Italiens bestaunen – diesem wunderschönen Platz, der mit seinen Prachtbauten das Meer zu umarmen scheint. Andererseits sind es gerade bei Schwachwind – so wie bei diesem 49. Durchlauf – die Crews kleinerer und kleinster Bötchen, die, chancenlos zwar, einfach aus Spaß teilnehmen.
Jeder will an der Barcolana teilnehmen, und koste es ein paar Kratzer im Gelcoat
Wenn es aber je eine Regatta gab, bei der das olympische Credo „Dabei sein ist alles“ zutrifft, dann ist es die Barcolana. Etwas abseits der Piazza, auf der sich zigtausende Besucher drängeln, sind Boote und Pavillons, Vorstellungen von Tanzgruppen, Lesungen und die Manöver der Crews anzusehen. Und ist kein Platz zum Festmachen mehr da, reicht auch die Anhängerkupplung eines nahe dem Wasser parkenden Autos.
Wirklich niemand in Triest verzichtet in den zehn Tagen, während der sich rund 300 Veranstaltungen um die Regatta ranken, auf einen Besuch der Piazza. Und wer selbst segelt, will wenigstens einmal an der Barcolana teilnehmen – koste es, was es wolle. Und seien es ein paar Kratzer im Gelcoat, was fast unweigerlich passiert, wenn mehr als 2.000 Boote gleichzeitig versuchen, über die Startlinie zu gelangen.


Ein besonderes Boot für eine junge Crew
Was für gestandene Segler schon ein Traum ist, das ist für die jungen Nachwuchstalente des Yachtclubs Triest der „Società Triestina della Vela“ quasi ein Heiliger Gral. Für sie war es ein besonderes Privileg dabei zu sein, durften doch einige von ihnen, die im Laser-Team des Clubs auf den besten Plätzen liegen, auf der Maxiyacht „Force 9 of London“ teilnehmen. Giorgio Pitter, der Skipper der Yacht, ist ein entfernter Cousin des Charteranbieters Pitter Yachting, selbst seit Jahrzehnten im Bootsgeschäft und im letzten Jahr auf dem Siegertreppchen der Barcolana.
Für ihn ist die Aktion ein persönliches Anliegen: „Ich möchte mit diesen jungen Leuten etwas aufbauen. Es ist ein Drei-Jahres-Programm. Dieses Jahr eine respektable Platzierung auf der Barcolana, nächstes Jahr insgesamt fünf Regatten wie den Rolex Swan Cup vor Sardinien, das Rolex Middle Sea Race oder den Maxi Yacht Rolex Cup. Und dann als Krönung 2019 das Fastnet Race“, sagt Pitter.
Tatsächlich skippert er nicht irgendein Schiff, sondern eines mit einer besonderen Historie. Die Swan 65 ist eine zeitlose Schönheit – so schön, dass Italiener sie „La barca“, das Boot, nennen. 1977 nahm dieses Schiff unter dem Namen „Adc Accutrac“ am Whitbread Round the World Race teil. Seine Skipperin, Clare Francis, war die erste Frau, die je an diesem gnadenlosen Rennen teilnahm, sie belegte damals den sensationellen 5. Platz.
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© Martina Orsini
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© Susanne Guidera
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© Susanne Guidera
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© Susanne Guidera
30 Stunden pro Woche auf dem Wasser
„Warum wollen diese jungen Leute im Alter zwischen 15 und 20 Jahren überhaupt segeln?“, frage ich, als wir nach dem Training am Samstag in der Plicht sitzen, während sich hinter uns die Zuschauer drängeln. Fotos werden gemacht, und eine Kakophonie aus Musik, Stimmen und den Rufen der Crews hängt über der Piazza. Federico Borghi, 17 Jahre, zuständig für die Arbeit an den Fallen, sieht mich an. „Ich trainiere jede Woche bis zu 30 Stunden auf dem Wasser, mache viermal pro Woche je zwei Stunden Muskelaufbau“, sagt er. „Ich will das Segeln zu meinem Beruf machen.“
Damit ist er nicht allein: Alle Teenager an Bord arbeiten hart für ihre Platzierungen im renommierten Triestiner Yachtclub. Man merkt es, wenn sie behände über das Boot springen. Ihre Augen sind überall. Selbst dann, wenn sie gar nicht zuständig sind für die Arbeit der anderen, beobachten sie genau, was das Schiff macht. Als ich frage, was Segeln für sie bedeutet, antworten sie fast unisono: „Freiheit, Adrenalin, Schwerstarbeit“.

Barcolana statt Olympia
Und Silvia Penso, die gerade einmal 18 Jahre alt ist, blickt mit einer Mischung aus Unbekümmertheit und Ehrgeiz auf die Menschenmenge an der Pier und erzählt, wie ihr Großvater im Kader des italienischen Teams an Olympia teilnahm, eine Medaille gewann, ihre Großmutter segelte, ihre Mutter ebenfalls in der Olympia-Segelmannschaft teilnahm und ihr Vater erfolgreich Regatten absolviert. Selbst ihre kleine Schwester mischt schon kräftig in der Regattaszene mit.
Und sie selbst? Hat sich vor kurzem für die Weltmeisterschaften in Australien qualifiziert, wird aber nicht hinfahren, da ihre Partnerin an Bord sich verletzt hat. „Die Teilnahme an Regatten ist immens teuer“, sagt sie. „Wir werden zwar gefördert, aber die meisten Kosten für Flug, Transport des Bootes und mehr müssen wir selbst tragen.“ Die Teilnahme an der Barcolana ist für sie ein Motivationsschub. Sie ist der strahlende Mittelpunkt der jungen Crew, lächelt selbst noch beim Bedienen der Winschen. Wovon sie träumt, frage ich sie „Die Olympiade“, antwortet sie ohne zu zögern. „2024 ist es so weit!“


Am Ende geht die „Force 9 of London“ am Sonntag, den 8. Oktober, mit ihren 32 Tonnen auf Platz 57 von 2.101 Booten über die Ziellinie, als Nummer 7 der Maxiyachten. Ein Ergebnis, das die junge Crew hoffen lässt für die Jubiläums-Barcolana im kommenden Jahr.
Selbst dabei sein
Wer nächstes Jahr bei der 50. Ausgabe der Barcolana selbst teilnehmen möchte, findet mit seinem Schiff Platz in einer der 19 Marinas des FVG Marinas Network, die alle nur wenige Seemeilen von Triest entfernt liegen und sich als Stationen für einen Törn in Friaul-Julisch Venetien eignen. Zur Barcolana gibt es ab vier Nächten (dieses Jahr noch bis 30. Oktober) 25 % Rabatt auf die Liegegebühr. Im kommenden Jahr werden die Marinas zwischen Lignano Sabbiadoro und Muggia sicher wieder mit Angeboten für Barcolana-Teilnehmer aufwarten.
Viele, viele Bilder: barcolana.it