Doppelt rot nebeneinander. Kein gutes Zeichen. Eigentlich bedeutet das „außer Betrieb“. Nicht jedoch, wie lange. „Wird wohl gerade Teatime sein“, denken wir optimistisch. Ich funke die Fonejacht-Brücke an, bekomme aber keine Antwort. Eine andere Yacht wartet bereits am Steg auf die Öffnung. Als wir festmachen wollen, ruft uns ein Mann vom Land aus zu, dass diese Brücke nicht aufmacht und wir zurück bis Grou und dort den Kanal nach Leeuwarden nehmen müssen. Na super – unser Zeitplan ist damit hinfällig. Damit war eines klar: Wir nehmen die Staande Mastroute.

Wir sind auf der „Staande Mastroute“ unterwegs. Da wir diese Kanalfahrt eigentlich gar nicht geplant hatten, ist unsere Literatur an Bord darüber begrenzt. Ursprünglich wollten wir auch den Rückweg einer Nordseetour über das offene Meer fahren, mangels Wind entschieden wir uns dann kurzfristig für den Binnenweg. In Den Helder haben wir beim Hafenbüro eine Broschüre mitgenommen, in der die Route zwar eingezeichnet ist, aber keinerlei Infos über Brückenöffnungen stehen. Also navigieren wir mit Navionics ohne Tiefenangaben und mit Google Maps. Keine dieser Apps wusste, dass diese Brücke niemals öffnet. In diesem Moment wird uns klar, dass wir hier im Blindflug unterwegs sind und nicht wissen, wo wir überhaupt lang müssen. Wassertiefen stehen in keiner unserer Unterlagen. Ein kurzes Telefonat mit der zuständigen Behörde, der Rijkswaterstaat, gibt uns Aufklärung. Allerdings auch das nur ganz vage: „Mit 1,65 m Tiefgang müsste das eigentlich klappen“, sagt die sehr nette Dame am Telefon. Sie sollte recht behalten.

Die Staande Mastroute ist eine beliebte Alternative zur Nordsee, wenn das Wetter nicht mitspielt oder man frei von Tidenzeiten zum Ijsselmeer fahren will. Unser Einstieg in die Kanalwelten erfolgte in Den Helder, von wo aus wir an einem Tag bis Amsterdam gefahren sind. Dieser Abschnitt gilt nicht als klassische Staande Mastroute, ist jedoch sehr zu empfehlen. Danach über Marker- und Ijsselmeer und dann zurück ins Binnenland. Wir sind den nördlichen Teil von Stavoren bis Defzijl in der Emsmündung gefahren. Man kann aber auch über Lemmer fahren, was der klassischen Route entspricht.
Den Helder bis Amsterdam

Diese Strecke ist gut an einem Tag zu schaffen – wenn man nicht zu spät los fährt. Da wir ausgeschlafen haben, kommen wir nicht früh genug los. Allerdings wird man spät abends in den beliebten und citynahen Marinas sowieso keinen Platz mehr finden. Deshalb ist ein Zwischenstopp auf diesem Abschnitt sinnvoll.
Alle Brücken auf dieser Route öffnen automatisch. Zwar sind vor jeder Brücke die UKW-Kanäle für den Funk auf Schildern zu sehen, jedoch braucht man das in der Regel nie. Auf den Brücken sind zahlreiche Kameras angebracht, die den gesamten Bereich im Blick haben. Sobald man sich nähert, schaltet das Licht auf rot-grün um und kurze Zeit später geht die Brücke auf. Das klappte bei uns sehr gut – obwohl wir fast den ganzen Tag allein unterwegs waren. Selbst große Brücken mit sechsspurigen Straßen öffnen für ein einziges Sportboot. Das ist zwar nie garantiert, denn oft werden die Boote auch vor der Brücke „gesammelt“, jedoch dauert es nie lange, bis man weiter kann. Das gilt auch für die Schleusen, die man unterwegs passieren muss.

Der erste Teil der Strecke ist nicht gerade idyllisch, was an der stark befahrenen Straße liegt, die sich dicht neben dem Kanal durch Hollands wunderbare Natur schlängelt. Belohnt wird man jedoch im hübschen Alkmaar, dessen Ortskern man passiert. Hätten wir Zeit gehabt, wären wir sicher eine Nacht geblieben. Südlich von Alkmaar merkt man danach sehr eindrucksvoll, dass man sich der Weltstadt Amsterdam nähert. Die Gebäude werden größer und auch die ersten Binnenschiffe mit Ladung kommen einem entgegen. Unser Tagestrip endete jedoch in Haarlem, da die Schleusen und Brücken fast überall um 20 Uhr Feierabend machen. Wir erreichen die Schleuse in Haarlem um 20:05 Uhr. Pech gehabt. Oder Glück – wie man es nimmt. Denn neben der Schleuse ist ein kostenloser Wartesteg und daneben die Flanier- und Ausgehmeile mit vielen Restaurants und Bars.

Am nächsten Morgen folgt die prächtige Anfahrt nach Amsterdam zum Sixhaven, genau gegenüber der Centraal Station, dem Hauptbahnhof der Metropole. Der Hafen öffnet erst um 12 Uhr, vorher müssen alle anderen Gäste verschwunden sein. Diese Regel ist sinnvoll, denn sonst würde im sehr engen Hafen ein heilloses Chaos von An- und Ablegern entstehen. Die Stadt erreicht man per kostenloser Fähre, die alle fünf Minuten neben dem Hafen zum Bahnhof führt.
Durch Friesland

Nach zwei Tagen Amsterdam überqueren wir das Markermeer und das Ijsselmeer bis Stavoren. Von dort soll es den direkten Binnenweg nach Delfzijl gehen, wo wir über die Ems wieder zur Nordsee wollen. Hier ist deutlich mehr Verkehr als auf der Strecke Den Helder bis Amsterdam. Binnenschiffe, Segelyachten, Motorboote und Behördenfahrzeuge kreuzen ihre Bahnen durch die Kanäle. An den Brücken sind die Wartezeiten nun auch etwas länger, da immer ein Pulk an Schiffen eingesammelt wird, bevor es los geht. Nach unserem kleinen Umweg zur Fonejacht Brug, die niemals öffnet, finden wir den eigentlich richtigen Weg über Leeuwarden. „Finden“ bedeutet in diesem Fall, dass wir uns langsam vortasten. In der ersten Abzweigung sitzen wir bereits nach ein paar Metern auf Schiet. Mit Maschine kommt man jedoch immer wieder leicht raus. Der zweite Kanal ist zum Glück tiefer, allerdings zeigt das Lot oft nur 10 cm Platz unter dem Kiel an, was uns auf der Strecke von 15-20 Kilometern ständiges Unbehagen bereitet. Wir wissen mangels Kartenmaterial nicht genau, ob diese Route klappt. Nach dem Überqueren eines Aquädukts wird das Wasser zum Glück wieder tiefer, und so nähern wir uns endlich Leeuwarden.
Kurz vor der Stadt erwischt uns dann doch eine Brücke, die Teatime hat. Von 16-18 Uhr kommt man dort nicht durch, und so nutzen wir die Zeit, um einkaufen zu gehen. Punkt 18 Uhr öffnet die Brücke schließlich, jedoch lassen wir erst mal die ungeduldige Berufsschifffahrt vor uns durch. Die Brücken sind hier offenbar genau für die Breite dieser Schiffe ausgelegt. An manchen Stellen haben die schweren und langen Kähne nur wenige Zentimeter Platz, brezeln aber nahezu ohne abzubremsen durch. Da lässt man mit seinem Sportboot lieber erst mal Ruhe einkehren, bevor man weiterfährt.

Nachdem man Leeuwarden zunächst durch den Industriehafen durchfährt, erreicht man den historischen Teil der Stadt, der sternförmig angelegt ist und durch den sich der Kanal entlang der früheren Stadtbefestigung schlängelt. Die zahlreichen Brücken im alten Kern von Leeuwarden sind nicht kostenlos. Touristisch attraktiv bezahlt man direkt beim Brückenwärter, der einem bei der Passage einen Holzschuh an einer Angel, den sogenannten „Klompje“, hinhält. Dort muss man passend abgezähltes Geld ablegen. Deshalb sollte man seine Euro-Münzen nicht leichtfertig in den Tagen zuvor ausgeben. Klompjes nehmen weder Bankkarten noch geben sie Wechselgeld.

Unser Haupt„problem“ auf dieser Tour: Die Zeit. Wir haben zu wenig davon. Leeuwarden ist fantastisch, dennoch müssen wir dran vorbei und so weit fahren, wie wir an diesem Tag noch kommen können. Die letzte Brücke in Leeuwarden erwischen wir, kurz bevor Feierabend ist, und so tasten wir uns auf einem sehr schmalen und am Rand flachen Kanal in der Dämmerung vor bis Burdaard, wo wir sehr idyllisch und fast schon kitschig liegen, vor einer Zugbrücke und einer Windmühle. Auf den Kilometern davor versuchen wir etliche Male, irgendwo am Ufer festzumachen, da es bereits dunkel wird. Jedoch ist unser Kiel zu tief. Der Kanal ist am Rand zu flach. Lustige Holländer in einem Ruderboot erlösen uns jedoch von der Ungewissheit und klären uns auf, dass wir in Burdaard genug Platz und Tiefe zum Parken haben. Erschöpft von einem langen und aufregenden Tag, erreichen wir den Ort kurz vor Mitternacht.

Am nächsten Tag geht es mit der ersten Brückenöffnung weiter. Nach dem hübschen Ort Dokkum streift man kurz das Wattenmeer, bevor es wieder nach Südosten geht. Unser Tagesziel heißt Groningen. Wegen einer erneuten Teatime vor einer Brücke klappt das auf die letzte Minute. Man sollte sich für die gesamte Staande Mast Route Zeit nehmen, um nicht wie wir ständig Druck zu verspüren und viele wunderschöne Plätze einfach links oder rechts liegen zu lassen. Groningen ist auch das letzte lohnenswerte Ziel dieser Tour, bevor es am nächsten Tag über einen eher industriell wirkenden Eemskanaal nach Delfzijl geht, wo wir nach etwa einer Woche Holland wieder verlassen.
Naviwas?
Eine Besonderheit gibt es noch: Das Naviduct kurz vor Enkhuizen. Wenn man vorher weiß, was das ist, stellt man sich drauf ein. Wir aber hatten nur diese kleine Karte ohne Details oder gar Erläuterungstexte. Unser Plotter zeigte uns kurz vor Enkhuizen ein Hindernis mit dem Namen „Naviduct“ an. Was soll man darunter verstehen? Wir wussten es nicht. Dummerweise gab es in unserer etwa einstündigen Überlegung einen Kommunikationsfehler in der Art von stiller Post. Und aus „Naviduct“ wurde „Navidrom“, was die Fantasie in unseren Theorien sehr beflügelte. Von Lichtern, die einen über das Land beamen, bis zu Wasserrutschen war alles dabei. Und was ist nun ein „Naviduct“, übrigens das einzige seiner Art weltweit? Eine Schleuse über einer Autobahn. Das ist zwar nicht beamen, aber nicht minder eindrucksvoll.

Fazit
Auch für Hardcore-Segler ist diese Tour zu empfehlen. Die Kanalfahrten zeigen einem völlig neue Perspektiven und Erlebnisse. Auch wennn das Segel meistens eingepackt bleibt, wird man durch wundervolle Orte und idyllische Landpassagen belohnt. Man sollte genügend Zeit mitbringen und nicht mit der Absicht kommen, hier Meilen zu fressen. Dazu ist es einfach zu schön hier. Und vorher sollte man sich unbedingt den „ANWB Wateratlas Staande Mastroute“ zulegen. So vorbereitet, ist die Staande Mastroute eine empfehlenswerte Tour, auch und gerade mit Kindern.
3 Kommentare
Hilfreich ist auch die App von anwb Waterkaarten. Sie deckt alle Wasserstraßen und Meere (in NL heißen die Binnenseen Meere) ab. Mit allen Infos zu Schleusen und Brücken
https://www.anwb.nl/water/varen/producten/waterkaarten-app
Bei der Fahrt durch den Götakanal fährt man auch über eine Art Autobahn ?
Na, ich denke, der Götakanal ist kaum mit der Route durch Holland zu vergleichen. In Holland hast Du ziemlich viele Möglichkeiten, unterwegs falsch abzubiegen.