Dass Seereisen lange Zeit hochgefährlich waren, begründet sich überwiegend in mangelhafter Orientierung. Die Positionsbestimmung war über Jahrtausende Glückssache. Als die Astronavigation entdeckt wurde, fand man sich besser zurecht – doch noch lange existierten parallel verschiedene Schulen. Eine wichtige Rolle spielte der Nullmeridian. Aber welcher?
Wendete ein Kapitän versehentlich die falsche Methode auf die falsche Seekarte an, segelte er ins Leere. Anschaulich wird das in dem Comic-Klassiker „Der Schatz Rackhams des Roten“ beschrieben: Kapitän Haddock will mit seinem Freund Tim und dessen Hund Struppi zur sagenumwobenen Insel steuern, auf der sein Vorfahre Ritter von Haddoque einst einen Schatz vergraben haben soll. Doch da, wo die Insel sein soll, ist nur Meer.
Dann fällt es Tim auf: Haddoque, ruhmreicher Kommandant in der Flotte des Sonnenkönigs Ludwig XIV., navigierte im ausgehenden 17. Jahrhundert natürlich nach dem Nullmeridian von Paris. Der liegt rund 2,3 Grad weiter im Osten – auf Höhe des Äquators entspräche das einem Umweg von rund 250 km. Tims Freund Haddock ändert den Kurs, und tatsächlich taucht irgendwann ein Punkt am Horizont auf: die Insel.
Tatsächlich ist der Meridian von Paris, der seit 1667 durch das königliche Observatorium der französischen Hauptstadt läuft, keineswegs die einzige Greenwich-Alternative. Die älteste schon gar nicht. Seit sich Menschen über eine umgebungsunabhängige Positionsbestimmung Gedanken machen – also spätestens seit den ersten Hochseereisen – tobt der Streit um die schwarze Null. Wo soll sie verlaufen? Und wer darf diese globale Norm bestimmen? Eine Frage der Ehre, des Prestiges und wohl auch allseitigen Nutzens.
Jedem Land sein Nullmeridian
Die islamische Welt, die dem Abendland fast tausend Jahre hindurch wissenschaftlich weit überlegen war, orientierte sich ab dem Jahr 1075 an einer imaginären Geraden, die zehn Grad westlich von Bagdad in Nord-Süd-Richtung das Zweistromland kreuzt. Und so navigierte lange jeder nach seiner eigenen Nase.
In Europa sollen im 19. Jahrhundert 29 unterschiedliche Meridiane existiert haben. Erst durch die beginnende Globalisierung, internationale Vernetzung und fortschreitende Nachrichtentechnik wuchs der Bedarf nach Vereinheitlichung. Und das Gezänk ging los.

Anders als der Äquator, die natürliche Breitenkonstante, ist ein grundlegender horizontaler Längen-Kreis nicht vorgegeben. Der virtuelle Master-Längsstreifen könnte überall den prallen Wanst unseres Globus queren.
Die meisten Astronomen – egozentrisch, wie der Mensch nun mal ist – wählten ihren Heimatort dafür aus.
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