Es ist ein Donnerstag im Juni, kurz vor Pfingsten. Meine Schicht bei der WetterWelt geht gerade zu Ende, ich freue mich auf den Feierabend. Ein anderer Meteorologe hat mich am Desk bereits abgelöst und übernimmt daher den Anruf, der gegen 14 Uhr eingeht. Aus dem Augenwinkel sehe ich ihn den Hörer abheben. Kurz darauf wedelt er schon hektisch mit den Armen in meine Richtung. Ein Wetter-Routing im Anzug?
Der Anruf kommt von Bord einer Yacht im Atlantik. Da mein Kollege nicht der Experte für Segler ist und es sich offenbar um ein sehr dringendes Anliegen handelt, übernehme ich. Etwas Zeit habe ich ja noch bis zum Ende meiner Schicht, denke ich. Doch die Beratung wird dann doch etwas länger dauern – und sich zu einem echten Rettungsfall entwickeln …
Sturmwarnung für die Biskaya
Der Skipper einer Parker 335 ist über Satellitentelefon dran. Die Gesprächsqualität ist hervorragend, so dass ich sofort den besorgten Tonfall des Mannes wahrnehme. Sein Boot gehört zu einem Regattafeld, das gerade die Biskaya durchquert. Und vor wenigen Minuten erst hat die Regattaleitung für das Gebiet eine Sturmwarnung herausgegeben.

Die Parker 335 ist eine von 18 Yachten, die an der Atlantic Rallye for Cruisers (ARC) Portugal teilnehmen – von Plymouth nach Baiona in Nordportugal. Das Feld hat die Biskaya fast durchquert und befindet sich etwa 130 Seemeilen vor der galizischen Hafenstadt A Coruña. Doch nicht alle Yachten sind gleich schnell; einige drohen zurückzufallen. Darunter auch das Boot meines Gesprächspartners.
Die Prognose ist für ihn alles andere als günstig: Das Tief wird sich in spätestens 24 Stunden vom Atlantik her deutlich verstärken und den Weg dieser Crews direkt kreuzen.
Zu langsam zum Entkommen
Die schnelleren Boote haben zwar gute Chancen, einen schützenden Hafen zu erreichen – teils sind sie sogar schon in A Coruña und Muxia an der Nordwestspitze Spaniens. Doch die langsameren haben keinen Hafen in Reichweite – sie können es nicht mehr schaffen. Im Gespräch mit dem Skipper stellt sich schnell heraus, dass seine Yacht unter besten Bedingungen nur sechs Knoten erreichen kann; für die 130 Seemeilen bis zum Ziel also mehr als 20 Stunden benötigen würde. Das langt nie und nimmer.

Auf die Nordseite des Tiefs
Wieso das? Der Kurs auf offene See soll vermeiden, dass die Yachten die volle Wucht des Tiefs abbekommen. Auf der Nordhalbkugel ist die Nordseite eines Tiefs die mit dem gemäßigteren Wetter und den schwächeren Winden. Dorthin will ich die Parker 335 und andere langsame Boote dirigieren – überdies werden sie dort auf achterliche Winde treffen, die den Kurs nach Westen begünstigen.

Ich rate dem Skipper, sein Ruder sofort auf einen westlich gelegenen Wegpunkt zu korrigieren, um keine Zeit zu verlieren. Es verlangt schon Vertrauen, auf den Rat einer fremden Stimme im Satellitentelefon zu hören und weg vom Festland und den sicheren Häfen Ruder zu legen in Richtung offener Atlantik.
Die Zeit wird langsam knapp
Trotz meiner Empfehlung am Ende des fast 20-minütigen Telefonats, keine Zeit mehr zu verlieren, will der Skipper noch mit seiner Crew sowie den anderen gefährdeten Booten über Funk Rücksprache halten.

Bei Erreichen dieses ersten Punktes zeigt sich das Tief dann im Süden deutlich und geht langsam weiter nach Osten durch. Die Boote befinden sich somit auf der Nordseite mit östlichen Winden, die bereits auffrischen. Damit die Flottille sich nicht allzu weit vom Tief entfernt und am Ende noch in eine Flaute gerät, werden sie in einem Bogen um den Kern herumsegeln. Über die nächsten Tage verfolge ich gespannt den Kurs der Yachten.
Bis zu acht Meter Wellenhöhe
Bei Ankunft des ersten Wegpunkts liegt der nächste anzusteuernde Punkt im Südwesten. Da der Wind um das Zentrum eines Tiefs sich (auf der Nordhalbkugel) gegen den Uhrzeigersinn dreht, weht somit auf dieser Seite ein zunehmend nördlicher bis später nordwestlicher Wind. Sobald sich der nördliche Wind wenige Stunden später zeigt, soll der Kurs dann langsam wieder an Baiona angelegt werden.

Denn so kann es mit dem nun achterlichen Wind recht gut die Welle heruntergehen, die sich kombiniert aus Windsee und Dünung auf dieser Position bis auf 3,50 Meter Wellenhöhe aufbaut. Das ist erträglich, vor allem in Hinblick auf die Alternative: Mit dem Eindringen des Tiefs in die Biskaya und der weiteren Intensivierung werden vor der Küste, wo die Parker ohne das Ausweichmanöver gestanden hätte, später bis zu 8 Meter Wellenhöhe prognostiziert, dazu über 70 Knoten Windgeschwindigkeit in Böen.
Trotzdem am Ende schneller im Ziel
Damit ist die Gefahr gebannt: Das Tief zieht weiter nach Osten über Frankreich, entfernt sich also von der Flotte. Gleichzeitig sorgt ein aufkommendes Hoch von Westen her nicht nur für Wetterbesserung, sondern auch noch weiter für den anhaltend achterlichen Wind. Der treibt die Boote in Richtung Ziel.

Am Ende sind die von mir gerouteten Boote teils sogar schneller als diejenigen, die in A Coruña in den Hafen gegangen waren. Denn die hängen dort aufgrund des Tiefs lange fest und erreichen trotz der Umwege der anderen – und langsameren – Yachten zum Teil erst später den Zielhafen.
Leider hat sich der Skipper nach Ankunft in Baiona nicht mehr bei mir gemeldet, um ein Feedback zu geben. Nur anhand des Trackers und der Befolgung der Routinganweisung konnte ich nachvollziehen, dass er wirklich so gehandelt hat, wie ich es empfahl.
Das Weltwetter im direkten Zugriff
So ein Notfall ist die Ausnahme – allerdings für uns bei WetterWelt kein Problem: Wir haben das Weltwetter ständig im direkten Zugriff und können also sehr schnell helfen – ob in der Ostsee oder zwischen Madagaskar und Südafrika.

Es kam für uns also nicht überraschend. Zwar waren die Intensität und die Zugbahn anfangs noch etwas unsicher. Aber es stand eindeutig fest, dass es in die Biskaya eindringen würde und damit definitiv die Regattastrecke kreuzte.
Keine frühzeitige Warnung
Es stand somit mehr als 24 Stunden vorher fest, dass da was Gefährliches auf die Yachten zukam. Dennoch gab es keine frühzeitige Warnung für sie. Das darf nicht sein. Denn auch eine Regattaleitung sollte wissen, dass es noch immer Segler gibt, die gar nicht oder nur mit unzureichenden Wetterdaten unterwegs sind.
3 Kommentare
Sie haben einen tollen Job gemacht! Traurig und absolut nicht nachvollziehbar ist, warum sich der Skipper nicht einmal bedankt. Wenn man bedenkt was ihm und den anderen Yachten durch ihre Hilfe erspart geblieben ist. Ich hoffe Sie verlieren dadurch nicht die Lust anderen selbstlos zu helfen.
Ich sage stellvertretend HERZLICHEN DANK!
Im März1997, auf meiner Atlantiküberquerung auf der Strecke Bermuda – Horta Azoren, hatte ich auch auf der letzten 2/3 der Strecke Orkanartige Stürme aus NW Richtung. Dir Anzeige ging teilweise bis zum Anschlag 99 Kn. Wind. Es war sehr anstrengend……
99 Kn Wind? wie muss man sich das vorstellen, das haben noch keine 3%an Skipper erlebt.schöne Grüsse