„Geht es hier eigentlich noch weiter?“ fragt mich Massimo und blickt auf die Ausfahrt der Marina Sant’Andrea in der Nähe von San Giorgio di Nogaro. Rechts herum fährt man über den ausgebaggerten Fluss Corno noch etwa sechs Kilometer, bis man das offene Meer erreicht. Und nach links? Dort, wo nur ein paar Hundert Meter weiter die Türme von Industrieanlagen stehen, die von den Frachtern angelaufen werden, die hin und wieder und gemächlich den Fluss hinaufziehen?
Massimo ist stolzer Besitzer einer Elan 38. Wir verstehen uns sofort. Beide sind wir neu auf unseren Booten. Und während Massimo ein bisschen belustigt erzählt, dass er eigentlich an ein Boot wie unseres (eine kleine Dehler aus den späten 1980er-Jahren) gedacht hatte, um mit Frau und Tochter Ausfahrten zu unternehmen, von diesem schnellen Flitzer aber einfach überwältigt war, versuchen wir (jeder für sich) die Lage der Fallen, Schoten und Leinen zu verinnerlichen. Die ersten Tage an Bord eines neuen, noch dazu eigenen Boots – das ist ein kleines Abenteuer und fordert das Gedächtnis.
Ohne den Maestro geht gar nichts
Zurück zu Massimos Ausgangsfrage: Ja, wendet man sich nach der muschelförmigen Hafenausfahrt nach links, erreicht man über den Fluss nach wenigen Kilometern die Cantieri Marina San Giorgio. Hier fahren vor allem Leute hin, die im Hafen selbst Hand an ihr Schiff legen wollen. Liegen in Sant’Andrea vor allem schnelle und schnittige Yachten, die von ihren italienischen Besitzern vorzugsweise am Wochenende bewegt werden, dominiert in San Giorgio der Do-it-yourself-Gedanke.
Immer ist irgendein Neuankömmling auf der Suche nach freien Leitern, die unter den Booten herumliegen, um an Bord zu klettern. Schnell kommt man ins Gespräch. Hier hört man im Frühjahr Kärntner und Salzburger Dialekt, während auf dem großen Freigelände geschraubt, gehämmert, geschliffen und gelegentlich heftig geflucht wird. Dann muss eben doch einer der Bootsbauer oder Mechaniker ran, die Signore Beppo in seiner Werkstatt beschäftigt. Wie ein Orchester dirigiert er seine Leute. Ohne ihn, den Maestro, geht hier gar nichts.

So unterschiedlich die beiden Marinas sind, sind sie doch repräsentativ für das kleine Friaul. Im Rund, das der östlichste Zipfel Italiens mit Slowenien und, wenige Kilometer weiter, auch Kroatien bildet, liegt eine einzigartige Landschaft. Friaul-Julisch Venetien, so der offizielle Name, ist klein. Gerade mal 50 Seemeilen ist die Küstenlinie lang. Sie bietet aber Abwechslung für jeden Geschmack. Die Lagunenlandschaft, die sich zwischen Lignano Sabbiadoro im Westen und Grado erstreckt, lässt sich nur entdecken, wenn man strikt bei Flut und einem Boot mit maximalem Tiefgang von 1,60 Metern durch die ausgeschilderten Kanäle navigiert. Es geht über Triest, die Stadt der drei Winde, bis nach Muggia, kurz vor der Grenze zu Slowenien. Abwechslungsreicher sind nur wenige Küstenregionen Italiens.

Dennoch ist das Friaul für Wassersportler immer noch ein Geheimtipp. Zu mächtig ist die Konkurrenz aus Kroatien. Viele Bootsbesitzer haben Italien in den vergangenen Jahren verlassen. Durch die italienische Steuergesetzgebung, die Boote einer Länge von mehr als zehn Metern mit einer saftigen Extrasteuer belegt, wegen der immer älter werdenden Bootsbesitzer und der alljährlichen Versandung der Kanäle im Revier harrt diese Region noch ihrer Entdeckung.
Deshalb haben sich die Betreiber der 19 Marinas zwischen Lignano Sabbiadoro und Muggia mit rund 7.000 Bootsliegeplätzen zu einem Verbund zusammengeschlossen. Gemeinsam wird an kreativen Marketingideen gefeilt, um sich im Bewusstsein der Bootsbesitzer aus Deutschland, Österreich und Italien zu verankern. Und tatsächlich ist jede der angeschlossenen Marinas einen Besuch wert.

Charme, Komfort und umfassender Service
Allein die Servicedichte und die herausragende Qualität der Häfen sucht ihresgleichen. Es gibt darunter keine, die nicht einen Werftservice in unmittelbarer Nähe zu bieten hätte. Und kaum eine, deren Restaurant nicht vergessen lässt, dass man an Bord nicht allzu viel Bewegung bekommt und in Sachen Kohlehydraten besser sparsam sein sollte. Wenigesind es, die nicht außerdem einen Pool zur Entspannung anbieten, wenn der Wind mal nicht so will.
Wohin also als Erstes? fragt mich Massimo und blickt auf seine Navigationssoftware. Bei seinem Tiefgang von 2,10 Metern empfehle ich ihm für die ersten Ausfahrten eine kleine Etappe über die Außenseite der Lagune bis nach Grado. Die knapp 5,5 Seemeilen von der Mündung des Flusses bis nach Grado sollten ausreichen, um sich mit Manövern bei Laune zu halten und die kleinen Eigenarten seines Boots ein wenig kennenzulernen.


Anders als im pittoresken Stadthafen Porto Mandracchio, in dem sich die Boote der Ausflügler am Sonntag drängeln, sollte es auch im Juli und August nahebei Platz geben – in Porto San Vito gleich an der Einfahrt nach Grado oder auch in der gegenüber gelegenen Darsena San Marco. Oder man ankert einfach im Canale Pietro d’Orio, nur gestört von den Motorbootfahrern, die anders als die meisten Segler die Innenseite der Lagune von Grado durchqueren.

Von hier aus ist es ein kurzer Schlag bis Monfalcone mit seiner Marina Hannibal oder ein Stück weiter zur Marina Lepanto. In beiden gibt es keine Probleme mit dem Tiefgang: Die Wassertiefe reicht bis auf zehn Meter, selbst die Großschifffahrt hat hier genug Wasser unter dem Kiel. In der Marina Hannibal engagiert man sich, zusammen mit Partern des weiter östlich bei Muggia gelegenen Porto San Rocco, in der Nachwuchsförderung und betreibt eine im College-Stil geführte, international bekannte Segelschule. Die Marina Lepanto liegt wie Sant’Andrea und die Cantieri Marina San Giorgio am Ende eines Industriegebiets. Erheblich ist ihr Charme dennoch. Um eine großzügige Piazza gruppieren neben anderen Gebäuden das empfehlenswerte Restaurant. Ein Pool, Fitnessraum und Tagungsräume machen die mit dem Gütesiegel „Resort“ ausgezeichnete Marina zu einem kleinen Wellness-Ort.

Marina mit Großstadtflair
Vielleicht aber rate ich Massimo nächstes Mal zu einem Triest-Besuch. Die Marina San Giusto ist eine echte Großstadtmarina. Von hier aus geht es in wenigen Schritten zu einem der schönsten Plätze Italiens, der Piazza dell’Unità d’Italia. Wie eine Terrasse aufs Meer mutet der Ort mit seinen eingelassenen Bodenstrahlern an, die den Platz nachts blau erleuchten. Im Cafè degli Specchi trank James Joyce einstmals seinen Espresso und diskutierte mit seinem Schüler Italo Svevo über das Leben. Die Zeit vergeht hier einen kleinen Tick langsamer als anderswo.

Genug Zeit, um noch nach Muggia zu segeln. Porto San Rocco zeigt auf die Bucht von Triest. Das Meer ist hier tiefblau statt wasserflaschengrün wie in der Lagune. Als Massimo und seine Familie vom Pool aus auf die Kulisse Triests schauen, mit dem Containerterminal und dem alles überragenden Leuchtturm Faro della Vittoria, wird es Zeit, in einem langen Schlag wieder zurück nach Sant’Andrea zu segeln. Irgendwann ist auch ein langes Wochenende vorbei. „Buon vento“ – guten Wind – wünschen sich Italiener, wenn sie aus dem Hafen fahren. Das wünsche auch ich Massimo und seiner Familie, als sie die Leinen loswerfen für ihren Törn durchs Friaul.

Unsere Hafenempfehlungen
Marina Sant’Andrea
Besonderheit: Die elegante Marina liegt gut geschützt an der Mündung des Flusses Corno in der Lagune von Marano. Das zur Marina gehörige Restaurant Ma:Ri bietet gehobene Küche für Liebhaber italienischer Spezialitäten. Vor allem die Fischgerichte, die Signora Maria serviert, sind eine echte Entdeckung.
www.marinasantandrea.it
Cantieri Marina San Giorgio
Besonderheit: In den Cantieri Marina San Giorgio wird Do-it-yourself groß geschrieben. Schrauber sind immer willkommen, selbst für sonst in Italien bei Eignern nicht gern gesehene Arbeiten wie dem Unterwasseranstrich. Die Umweltauflagen werden streng eingehalten. Das an die Marina angeschlossene Restaurant ist Treffpunkt für Yachties aus der Marina und die Manager der nahegelegenen Bierbrauerei „Castello“ oder dem Stahlwerk und Hafen.
www.cantierimarina.it
Darsena San Marco
Besonderheit: Die kleine Marina liegt direkt gegenüber dem Zentrum von Grado. Hier liegt man ruhig und doch zentral. Obwohl die Marina nicht groß ist, bietet sie Travellift und Kran für größere Bootsarbeiten. Außerdem ist dort die einzige Bootstankstelle von Grado. Die marinaeigene Pizzeria ist sehr beliebt.
www.darsenasanmarco.it
Porto San Vito
Besonderheit: Gleich an der Einfahrt nach Grado gelegen, bietet die Marina unmittelbare Ortsnähe und Platz für 165 Boote bis 24 Meter Länge. Auch hier wird Wert auf Kulinarik gelegt und es werden Klassiker der Fischküche interessant interpretiert.
www.portosanvito.it
Marina Hannibal
Besonderheit: Die Marina Hannibal gehört zu den Großen des Friaul und hat Platz für 315 Yachten bis 40 Meter Känge. Selbst bei Schlechtwetter liegt man im Hafen sehr gut geschützt. Die Marina ist zudem Sitz der international bekannten Segelschule Vela Tito Nordi.
www.marinahannibal.com
Marina Lepanto Ressort
Gäste finden hier nicht nur Pool und Wellness, sondern auch einen Fitness- und Tagungsraum sowie Waschmaschinen für den längeren Aufenthalt. Die Marina liegt sehr gut geschützt, sodass man auch bei Schlechtwetter beruhigt an Bord schlafen kann. Wir haben diesen Hafen auf float bereits vorgestellt.
Marina San Giusto
Zwischen den Molen des alten Stadthafens von Triest gelegen, ist diese Marina der Anlaufpunkt für alle Besucher der Stadt, die das Flair der alten Habsburger-Residenz erleben möchten. Während der Barcolana, der größten Segelregatta der Welt mit rund 2.000 teilnehmenden Booten, dient die Marina als Zentrum für die teilnehmenden Maxiyachten.
www.marinasangiusto.it
Porto San Rocco
Das Marina Resort mit angeschlossenem 4-Sterne-Hotel liegt nur drei Seemeilen von Slowenien entfernt. 546 Boote mit einer maximalen Länge von 60 Metern haben hier Platz. Das Restaurant der Marina wurde gerade neu gestaltet und ist für jeden Gourmetgaumen einen Ausflug wert. Im Porto San Rocco engagiert man sich stark in der Regattaszene. Der Ort war im Juli 2017 Schauplatz der ORC World’s Trieste. Wir haben diesen Hafen auf float bereits vorgestellt.
Mehr Informationen über die Häfen gibt es auf der Website des Netzwerks FVG Marinas Network
Ein Kommentar
Gute Übersicht über die Marinas in dieser Ecke – hätte ich glatt vor meinem Törn gebraucht. Wir taten uns in der Gegend um Triest mit all den „nur privaten“ Segelclubs recht schwer eine Platz zu finden. Gerne nachlesbar auf:
https://derweinnovize.wordpress.com/2017/08/01/der-weinnovize-war-segeln/