So ähnlich muss sich Altkanzler Gerhard Schröder gefühlt haben, als er als junger Mann am Zaun des Kanzleramts in Bonn stand, die Gitterstäbe fest mit seinen Händen umschlossen, und rief: „Ich will hier rein!“ Vor 32 Jahren stand ich auch vor einem Zaun, die Tore waren verschlossen – und der freundliche, aber bestimmte Polizist mit den verschränkten Armen vor Brust sagte nur:
Du darfst hier nicht rein.

Seit diesem Tag im Jahr 1988 stand ich noch mehrere Male vor dem geschützten Areal, den Blick sehnsüchtig auf die Yachten in der Marina gerichtet, in meinem Rücken die Skyline von Tel Aviv. Jedes Mal stellte ich mir vor, über das Mittelmeer zu segeln, immer der aufgehenden Sonne entgegen, bis das Meer an einer langen flachen Küste im Osten endet und sich aus dem diffusen Dunst über dem glitzernden Wasser Konturen bilden. Erst unscharf, wie eine Fata Morgana, dann immer deutlicher: Berge, Strände, Häuser. Das Heilige Land.

Monopoly im Mittelmeer
Warum Israel? Als Segelrevier ist das Land ausgesprochen langweilig. Das sagen zumindest die israelischen Segler, die ich in der Türkei getroffen habe. Es gibt keine geschützten Buchten, Ankern ist verboten, bei Westwind baut sich die Brandung über mehrere tausend Seemeilen auf, die wenigen Marinas sind überfüllt – und teuer, wie das ganze Land. Allein das Einchecken der Yacht kostet über 300 Euro.
Das klingt nicht gerade reizvoll für Segler, die auf ihr Budget achten müssen. Zudem führt die Route teilweise entlang der Küsten von Syrien und des Libanon – wenn auch in einiger Entfernung. Und dann spielen die östlichen Mittelmeeranrainer auch noch „Monopoly im Mittelmeer“, wie der Spiegel es nannte.
Das Seegebiet südlich von Zypern, und damit direkt auf unserer Route, ist eine politische Kampfzone. Auf der einen Seite stehen die Türkei und Nordzypern, auf der anderen Zypern und Griechenland. Natürlich geht es dabei um Geld, um sehr viel Geld. Beide Lager erheben Anspruch auf gigantische Öl- und Gasvorkommen unter dem Mittelmeer, die gerade erforscht werden.

Acht Boote und Segler aus neun Nationen
Unser Törn wird daher etwas aufwändiger. Einfach in der Türkei loszusegeln und in Israel anzukommen, das geht nicht. Das heilige Land ist seit Jahren im Ausnahmezustand. Yachten müssen sich im Vorfeld bei der Küstenwache und der Marine anmelden und ungefähr 20 Seemeilen vor der Küste auf eine erste Inspektion warten. Dann geleitet die Navy die Yacht in einem vorgegeben Korridor im rechten Winkel zum Hafen. Sicherheit geht vor.
Trotz all dieser Umstände reizt mich ein Segeltörn nach Israel. Und nicht nur mich. Kaum hatte ich Freunden in der Marina in Kaş von meinen Plänen erzählt, wurden wir immer mehr. Mittlerweile sind wir eine kleine Flottille mit acht Booten und Seglern aus neun Nationen. Briten, Dänen, Norweger, Spanier, Südafrikaner, US-Amerikaner, Australier, Türken und Deutsche. Das macht die Reise spannend. Vor allem, weil schon im Vorfeld klar wurde, wie unterschiedlich die Wahrnehmung über und die Erwartungen an Israel sind.

Den Konflikt besser verstehen
Es ist wie eine Studie, ein kleines Experiment, das zeigt, wie sehr Menschen sich von Vorurteilen beeinflussen lassen. Deutsche haben natürlich einen ganz anderen Blick auf Israel als beispielsweise Briten, die eine nicht unwesentliche Rolle bei dem ganzen Chaos spielten, das heute die Region prägt (Balfour-Declaration). Amerikaner sehen Israel aus einem anderen Blickwinkel als Türken oder Südafrikaner.
Dabei schauen alle auf das gleiche, kleine Land mit seinen großen Problemen. Nur sehr wenige unserer rund 30-köpfigen Gruppe waren bereits einmal in Israel oder Palästina. Aber alle haben eine Meinung, gestützt auf das, was sie mal gelesen, gesehen oder gehört haben.
Was uns alle eint, ist der Wunsch, mehr zu erfahren über den Konflikt, der die ganze Welt in Atem hält und nicht weniger ist als ein Pulverfass, dessen Lunte lichterloh glüht. Der Wunsch, sich eine eigene Meinung zu bilden. Mit eigenen Augen zu sehen, mit den eigenen Ohren zu hören. Vor Ort und nicht vor dem Fernseher.

Mehr als ein Urlaub unter Segeln
Sich in einem Boot so einem besonderen Ort wie Israel zu nähern, wird ein ganz besonderes Erlebnis sein. Anders als bei einer Flugreise bietet Segeln Zeit zur Reflexion, Zeit zum Verarbeiten. Und jeder Segler weiß, dass es nirgendwo so leicht ist, Kontakte zu knüpfen wie in Häfen. Wer über das Meer kommt, bei dem spielen Nationalitäten keine Rolle.
Knapp zwei Jahre habe ich bereits in der Region gelebt, einige Semester in Palästina studiert und meine Magisterarbeit dort geschrieben. Ich bin mit dem Flieger, einem klapprigen Wohnmobil und einmal sogar mit einem kleinen Tretroller von Ägypten aus nach Israel eingereist.
Vom ersten Besuch an hat Israel mich fasziniert wie kein zweites Land auf der Welt.
Trotz oder gerade wegen dieses verwirrenden Konflikts. Wer ihn verstehen will, der muss in meinen Augen Israel besuchen, eintauchen in die Geschichte der drei Weltreligionen, mit den Menschen vor Ort reden, auf beiden Seiten des Zauns. Das ist die Motivation unseres Törns, der mehr sein wird als nur ein Urlaub unter Segeln.
Reisen ist nicht selbstverständlich
Die Vorbereitungen haben bereits eines vor Augen geführt: Wie dankbar wir sein müssen, wenn politische Grenzen und damit auch die Grenzen in unseren Köpfen fallen. Wer nicht reisen kann, der kann nur übereinander reden, aber nie miteinander. Als Inhaber eines deutschen Passes ist es für uns selbstverständlich zu reisen.

Im jährlich erscheinenden „Henley & Partners Passport Index“ liegt Deutschland auf dem dritten Platz, 189 Länder können wir visumfrei besuchen. Privilegierter sind nur Japan und Singapur. Ganz anders sieht es aber für meine türkischen Freunde aus. Der türkische Pass liegt im Ranking zwischen Albanien und Belize. Allerdings noch vor Südafrika. Da wir an Bord der „Dilly-Dally“ eine gemischt deutsch-türkische Crew sein werden, müssen wir somit einige Hürden überwinden, die eine rein deutsche Crew unter deutscher Flagge nicht hätte.
Die Hürde ist Zypern
Einige Probleme lassen sich mit Geld lösen, wie das relativ teure Israel-Visum für Türken. Deutsche brauchen dagegen kein Visum. Die höhere Hürde ist Zypern. Auch wenn Zypern Teil der Europäischen Union ist, gehört die Insel nicht zum Schengenraum – und hat damit seine eigenen Einreisegesetze. Und natürlich spielt auch hier wieder die Politik eine Rolle.
Nachdem in den 1970er-Jahren die Türkei den Nordteil der Insel besetzt und die Türkische Republik Nordzypern ausgerufen hat, ist das Verhältnis zum griechischen Teil der Insel, sagen wir es mal vorsichtig, angespannt. Auch international hat, außer der Türkei, kein Staat Nordzypern als Land anerkannt.

Für uns heißt das, wir müssen zunächst eine griechische Insel anlaufen, dort für eine Nacht einchecken, die Yachtsteuer für einen Monat bezahlen, um dann direkt Zypern anlaufen zu können. Die Alternative wäre, „unsere“ Türken müssten – trotz Schengen-Visum – zunächst nach Athen fliegen, um bei der Botschaft Zyperns ein Visum zu beantragen.
Und auch unsere Südafrikaner müssen im Vorfeld eine aufwändige Prozedur durchlaufen, um ein Visum für Zypern zu bekommen. Die Alternative wäre gewesen, über Nordzypern nach Israel zu segeln. Geht aber nicht. Da Nordzypern nicht anerkannt ist, dürfen wir Israel nicht direkt anlaufen.
Israel ist nicht eingeschlossen
Dass es ein etwas anderer Törn werden wird, zeigen schon die Vorbereitungen. Angefangen bei banalen Dingen wie den elektronischen Seekarten. Die „Mittelmeerregion“ umfasst zwar die Kanaren und das Schwarze Meer, aber nicht Israel.
Das gleiche gilt für viele Bootsversicherungen. Israel ist nicht eingeschlossen. Die Probleme sind lösbar, einfacher sogar als gedacht, aber sie zeigen, dass Israel kein gängiges Segelrevier ist. Überwältigend ist dagegen die Hilfsbereitschaft, die wir bei der Planung erfahren haben. Die israelischen Segler geben uns das Gefühl, mehr als willkommen zu sein und bieten jede erdenkliche Hilfe an.

Ende April, wenn die Frühjahrsstürme sich gelegt haben, soll es losgehen. Vom türkischen Kaş aus zunächst nach Zypern, die Südküste entlang nach Larnaca und von dort weiter nach Israel. Nach zwei Wochen in israelischen Häfen und Marinas steht die Rückreise an, zurück nach Nordzypern, dann nach Anamur in der Türkei – und in kleinen Etappen zurück nach Kaş. Grob sechs Wochen haben wir eingeplant. Vielleicht wird es auch etwas mehr. Die israelischen Segler organisieren gerade eine Flottille, die Ende Mai aufbrechen soll. Ihr Ziel ist unser Heimathafen: Kaş.
Wer mehr über von Jens Brambusch lesen will, findet eine Auswahl seiner Beiträge auf float und weitere in seinem Blog Brambusch macht blau.

3 Kommentare
Hallo Jens! Ich wünsche dir und deiner Flottille eine spannende Zeit. Fair winds
David Kappeter – sailingmotion-yachtxharter.com
Wir segelten 2009 nach Israel. Wir können nur bestätigen, dass wir sehr herzlich und freundlich angenommen wurden. Unsere Reise ging über Türkei, Zypern, Libanon nach Haifa, Herzelia, dann Tel Aviv und Ashkelon. Sehr interessantes Land und sehr nette Menschen. Hat uns sehr gut gefallen.
Nur 6 Wochen sind dafür ziemlich knapp.
Wir wünschen euch allen einen wunderschönen Törn und spannende Zeit. And always fair winds, Heinz & Angie, SY Palawan
Wow, was ein spannendes Projekt !
Da Jaffo mit seinem alten Hafen auch für mich so Sehnsuchtsort ist, und ich hoffe auch einmal ´von See her´ dort werde einlaufen zu können werde ich begeistert folgen !
Mazel Tov und eine gute und intensive Zeit
JenzSea