Die Lärmquelle eines Motorboots kann auch mal woanders liegen als im Heck. Das haben Anrainer von Havel und Wannsee im westlichen Berlin in diesem Sommer schmerzlich erfahren. Viele Menschen verlagerten in dieser Zeit ihr Sozialleben auch aufs Wasser, möglicherweise eine späte Folge der Schließung von Bars und Kneipen. Party-Boote und Party-Flöße mit starken Lautsprecheranlagen fahren bis in den späten Abend über das beliebte Wassersportrevier.
„Es ist ist nicht mehr auszuhalten“, zitiert der Berliner Tagesspiegel einen Anwohner. Ein redaktioneller Beitrag der Tageszeitung hatte so viele Leserbriefe wie seit Jahren nicht mehr zur Folge. Die Aussagen der Nachbarn: Immer mehr Partyboote fahren die Berliner Havel entlang, ankern und beschallen bis spät in die Nacht die umliegenden Ufer. Die zuständige Wasserschutzpolizei bestätigt die Angaben weitgehend.

Ein weiterer Störfaktor sind (allerdings wenige) Speedboote, deren Skipper sich um das Tempolimit von 12 km/h im Innenstadtrevier nicht scheren. Doch die meisten Beschwerden richten sich gegen die Party People.
18 Polizeiboote patrouillieren
Im Tagesspiegel äußert sich auch der Ordnungsstadtrat des zuständigen Bezirks Spandau, Stephan Machulik: „Die zu lauten Party-Hausboote haben wir auf der Ober- wie auf der Unterhavel.“ In den letzten Jahren seien sie manchmal sogar überfüllt gewesen. Man müsse sich fragen, ob der Vermieter wusste, wer da auf seinem Boot unterwegs war.

Auch die Polizei kennt das Problem: Den Feiernden an Bord fehle „zum Teil das Gefühl für die Lautstärke und Hörweite des Schalls“, äußert sich ein Beamter. Doch die Verfolgung solcher Form von Ruhestörung ist offenbar schwierig. Es gibt keine Norm, die Schall-Emissionen von Booten auf Bundeswasserstraßen reguliert.
Die weitgehend wieder aufgehobenen Abstandsregeln auf dem Wasser sind dagegen kein Hebel, um das muntere Treiben zu dämpfen. Die Wasserschutzpolizei ist mit 18 Booten auf den Berliner Gewässern präsent, 2019 wurden knapp 3.000 Verfahren gegen Wassersportler eröffnet – aber nur eine Handvoll wegen ruhestörenden Lärms.
Bootsverleih mit Bierverkauf
Wo kommen diese Boote her? Ein weiterer frustrierter Tagesspiegel-Leser gibt eine Einschätzung: „Kamen die Partyboote bisher aus Potsdam und Pichelsdorf erst am frühen Nachmittag nach Wannsee, sorgt jetzt die Vermietung durch die Nixe-Werft bereits morgens für Diskoatmosphäre.“ Eine Anfrage von float hierzu blieb unbeantwortet.
Die mit bis zu 15 Personen besetzten Flöße würden gleich auf dem Wannsee bleiben – bevorzugt vor dem Strandbad. Sightseeing oder Naturerlebnis fänden nicht statt. Der Leser: „Es geht ausschließlich um Saufen, Grölen und Beschallung durch Musikanlagen.“
Tatsächlich liest sich das Kleingedruckte auf der Website eines Vermieters direkt am Wannsee, zwischen den ehrwürdigen Segelclubs gelegen, wie eine Aufforderung zum Sauftörn: „Führerscheinfrei bedeutet nicht, dass alles erlaubt ist. Auf dem Wasser muss mindestens einer als Schiffsführer nüchtern sein.“ heißt es dort. Und zwei Absätze weiter: „Bier und Processo [sic; gemeint ist Prosecco] können hinzu gebucht werden.“ Was braucht man mehr?
Bootsvermieter kennen das Problem
Die Erfahrungen der Bootsvermieter in der Hauptstadt mit Gästen, die sich an Bord betrinken, reichen von gepflegt bis unerträglich. Sprich, es kotzt schon mal ein Gast in die Backskiste. Damit die Kurzkapitäne auf den Gewässern nicht nach Alkoholkonsum unangenehm auffallen, nimmt mancher seine Kunden vorm Start ins Gebet, „freundlich und mit möglichst viel Empathie“, wie ein Vermieter an der Spree berichtet. Solange Junggesellen und „Hennen“ vorm Feiern noch zuhören können.

„Ich habe diverse Male Boote von der Polizei abgeholt“, so ein Hafenmeister gegenüber float, und von der Feuerwehr, nachdem eine ohnmächtige Bootsführerin nach übermäßigem Drogenkonsum vom treibenden Tretboot geborgen worden war. Aber der Umgang der Beamten sei doch sehr kulant, so die Erfahrung. „Eingegriffen wird erst, wenn es wirklich hoffnungslos ist“, erklärt einer, der fast täglich in Berlin auf dem Wasser unterwegs ist. „In der Regel wird man bei gemäßigtem Verhalten, wenn blaue Boote anwesend sind, nicht kontrolliert.“
Ein Restrisiko bleibt: Wer blau Boot fährt, droht der Entzug sämtlicher Fahrerlaubnisse. Die Beamten auf den blauen Schiffen der Wasserschutzpolizei ziehen den Bootsführerschein ein, auch wenn alkoholisierte Skipper „nur“ ein führerscheinfreies Boot fahren. Für Mitfahrende ist das unproblematisch. Und es soll auch schon vorgekommen sein, dass alle an Bord blau sind, aber keiner fürs Skippern verantwortlich sein wollte.
Der Verkehrsminister informiert
Da die Havel im Bereich des Wannsees eine Bundeswasserstraße ist, beschäftigt sich mittlerweile sogar die große Politik mit den schwimmenden Clubs. Anlass war eine Eingabe von Swen Schulz, Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Spandau-Charlottenburg.
Ende September reagierte das Bundesverkehrsministerium auf die Anfrage „Betreff: Lärmbelästigung auf Bundeswasserstraßen in Berlin“. Erst einmal erklärt sich die Behörde für nicht zuständig: Lärm, der nicht auf den Schiffsbetrieb zurückzuführen ist, wie zum Beispiel zu laute Musik an Bord der Sportboote oder Partylärm, falle in die Zuständigkeit der kommunalen Ordnungsbehörden.
Der Abgeordnete Swen Schulz will sich demnächst, wie das Ministerium empfahl, mit den kommunalen Behörden auseinandersetzen. Für die Anwohner bleibt nur der vorläufige Trost, dass die sinkenden Temperaturen jetzt die Partylaune der Feier-Skipper vorläufig abkühlen dürften. Bis zur nächsten Saison.
4 Kommentare
Die Seuche der Partyflöße, die hier ohne Führerschein gefahren werden dürfen, muss wie Corona bekämpft werden!
Bist Du sicher, dass das vergleichbar ist?
Danke für den interessanten Artikel hier – habe im SeglerBlog zu diesem Thema ergänzt.
[…] Kollegen von „float“ schrieben auch schon unter der Überschrift „Wem gehört der Wannsee?“ zu dem Thema, interessanterweise hinsichtlich der Perspektive der Anrainer zu diesem leidigen […]