Der Trend, aufs Wasser zu gehen, führt auch zu mehr Lärm. Wie viel mehr, darüber berichtete float zuletzt im Herbst 2020 unter der Fragestellung Wem gehört der Wannsee?. Menschen an und auf dem Berliner Gewässer, aber sicher auch andernorts, fühlen sich vom Maschinenlärm hochmotorisierter Boote und Musikbeschallung der sogenannten Partyflöße zunehmend belästigt. Die Verfolgung dieser Ruhestörung scheint bisher wenig erfolgreich zu sein.
„Wenn ich bereits im Wald, auf dem Weg zum Hafen, das Wummern der Bässe und Dröhnen der Motorboote höre, möchte ich am liebsten umkehren.“ Kristjane Martis segelt seit Jahren auf dem Wannsee. Die pensionierte Fremdsprachensekretärin besitzt eine Sprinta 70, ihr „schwimmendes Wochenendhaus“.
Mit dem sieben Meter langen Kleinkreuzer, einst ein Verkaufsschlager der alten Dehler-Werft aus den 1970er-Jahren, segelt die gebürtige Pfälzerin, so oft es geht – und übernachtet gern auch an Bord, vor Anker oder am Steg liegend.
Vergangene Saison, berichtet Martis, hatte sie ein unerfreuliches Erlebnis. In einer friedlichen Sommernacht – es war ein Wochentag – sei sie gegen zwei Uhr am Großen Fenster, einer einsamen Bucht am östlichen Ufer des Wannsees, beinahe aus der Koje gefallen. „Unglaublicher Lärm“ habe sie geweckt. Sie stand auf und folgte dem Krach am Ufer entlang.
Entscheidung, initiativ zu werden
Schließlich fand sie eine jugendliche Festgemeinde mit heftiger Partymusik vor. Die feierten einen 18. Geburtstag. „Ich sprach sie an, bat um Verständnis und forderte sie auf, leiser zu feiern.“ Aber die Angesprochenen reagierten uneinsichtig. Sie sei doch sicher auch mal jung gewesen.
Martis forderte noch einmal zur Ruhe auf und ging zurück zu ihrem Boot. Aber der Lärm setzte sich fort. Also spazierte die ältere Dame noch einmal zur Partyzone und forderte mit Nachdruck erneut Nachtruhe. Diesmal mit Erfolg. Da sei es halb drei gewesen.
Die Seglerin blieb auch nach der für sie kurzen Nacht unermüdlich am Ball: „Am Vormittag bin ich da noch einmal hingegangen, die waren am Aufräumen, habe mich entschuldigt und erneut um Verständnis gebeten.“ Das Erlebnis blieb – zumindest bei ihr – haften. Und Kristjane Martis beschloss zu handeln.
Handeln, aber bitte mit System
Aber mit System: „Es geht uns nicht um Konfrontation. Natürlich gönne ich den Leuten ihren Spaß, aber bitte mit Grenzen!“ Die Grenzen regelt das Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin. Demnach müssen beim Betreiben von Wasserfahrzeugen vermeidbare (Schall-) Emmissionen verhindert werden.
Unvermeidbare Immissionen sollten auf ein Mindestmaß beschränkt werden. „Die Grenzen sind immer dort zu ziehen, wo ausschließlich verhaltensbedingter Lärm vermeidbar ist“, erklärt eine Sprecherin der Polizei gegenüber float. Damit scheinen die Regeln eigentlich klar.
Beschwerdeführerin Martis will sich nicht darauf beschränken, mit Gleichgesinnten „am Stammtisch vor uns hinzuschimpfen“, sondern wirklich etwas bewegen. Durch Arbeitsgruppen, Lobbyarbeit, Einflussnahme auf Politik und Gesetzgebung. Martis ist seit Jahrzehnten ehrenamtlich tätig, unter anderem bei Amnesty International. Professionalisiert wurden ihre Erfahrungen als langjährige Assistentin der Abteilungsleitung Öffentlichkeitsarbeit in der Organisation „Brot für die Welt“. Martis weiß also, wie so etwas aufgezogen werden muss.

Kurz danach rief sie IGeL ins Leben – die Initiative Gewässer-Lärmschutz. Nach eigener Aussage ein „offener Zusammenschluss von Wassersporttreibenden und Anwohnern der Unterhavel, die sich gegen den zunehmenden Lärm am und auf dem Wasser wehren“. Wobei Martis das Wirken von IGeL nicht auf Berliner Gewässer beschränkt sehen will.
Sie kann sich vorstellen, dass auch andernorts Betroffene sich mit ihrer Gruppe vernetzen wollen, zumal einige gesetzliche Bestimmungen länderübergreifend gelten. Kontakt zu Berliner Initiativen, zum Beispiel „Stralau gegen Lärm“ in Ostberlin, ist bereits geschlossen.
„Und wir sind im regelmäßigen Austausch mit der Wasserschutzpolizei, dort mussten wir keine Überzeugungsarbeit leisten.“ Im Gegenteil, man nähme ihr Anliegen „sehr ernst“. Wie will IGeL nun seine Stacheln zeigen? Eine Idee ist es zum Beispiel, mit den Charterunternehmen Kontakt aufzunehmen oder am Strand Flyer verteilen.“
Polizei registriert mehr Beschwerden
Tatsächlich wird amtlich bestätigt, dass auf dem Wasser mehr los ist als früher: „Die Polizei Berlin konnte feststellen, dass sich seit 2019 erkennbar coronabedingt mehr Menschen auf den Berliner Gewässern aufhalten“, teilt die Behörde auf Anfrage von float mit. Da Reisen eingeschränkt und Clubs geschlossen waren, sei die Miete von Hausbooten sprunghaft angestiegen.

„Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Wasserflächen mehr und mehr auch als Eventflächen genutzt werden.“ Und zwar sowohl zur Erholung als auch zum Sport und für Feiern. Eine Polizeisprecherin zu float: „Das Beschwerdeaufkommen ist in den vergangenen Jahren angestiegen.“ Die Polizei sei regelmäßig unterwegs, um Anzeigen wegen Lärm aufzunehmen.
Sie landen dann oft bei Achim Diesing, Geschäftsführer von Bootsverleih Berlin. Die Plattform wurde 2010 gegründet und vermittelt aktuell 116 Boote in der Hauptstadt gegen Provision an Mieter. „Das Problem mit dem Lärm gab es schon immer“, sagt Diesing gegenüber float. Er glaubt, dass die Menschen durch Corona empfindlicher und weniger kompromissbereit geworden seien, so komme es zu mehr Beschwerden. „Wir erhalten auch richtige Hassmails deswegen.“
Zu den Grundregeln gehöre, nicht permanent an einem Ort auf dem See zu verweilen und spätestens ab 20 Uhr im Hafen zu sein. „Wir haben auch nur kleine Soundboxen vom Typ JBL5 an Bord.“ Diese Geräte haben eine Leistung von maximal 250 Watt.
Bei Bare-Boat-Charter habe sein Unternehmen aber keine Kontrolle darüber, was die Menschen mit an Bord nehmen und wo sie es aufdrehen. Dann kann Diesing nur die Beschwerden entgegennehmen und an die Bootseigner weitergeben. Der 42jährige lebt nahe der Havel und glaubt, beide Seiten zu kennen: „Natürlich nervt mich auch manchmal Lärm, aber das geht doch vorüber.“
Feiern auf dem Wasser als Konzept
„Die haben das Feiern auf dem Wasser zu ihrem Konzept gemacht.“ Den Eindruck gewann IGeL-Gründerin Kristjane Martis kürzlich bei einem Ausflug in die Kleinstadt Brandenburg. Auf den Havelarmen rund um die Stadt habe sie diverse, sehr laute Lärmquellen wahrgenommen. „Das war einfach nur Halli-Galli.“
Der Spaßfaktor werde ganz offensichtlich auch dazu genutzt, um im Tourismus Werbung zu machen. Hier will IGeL mäßigend auf den Berliner Senat einwirken. Das Wassertourismus-Konzept der Hauptstadt bewerbe die Partyflöße als typische Attraktion. Da will IGel mitreden.

Einige Mitstreiter hat Kristjane Martis bereits gewonnen. Ihr nächstes Ziel: mehr Bekanntheit gewinnen und Kontakt zur Politik knüpfen. „Es sind ja nicht nur die Partyflöße, sondern auch Speedboote, die Lärm verbreiten.“ Die Eigner würden den Tank mit mehreren hundert Litern Sprit füllen, vermutet sie, und dann denken, für sie gelten keine Regeln. „Die lachen nur über die Strafen, die ihnen drohen.“ 250 bis 1.200 Euro Bußgeld wird bei Tempoverstößen erhoben. Aber oft sei es nicht einmal möglich, die Verursacher zu identifizieren, glaubt die Initiatorin.
„Auch der Umweltgefährdungsaspekt durch Zerstörung der Böschungen infolge von Wellenschlag findet bei der juristischen Einordnung ungenügende Berücksichtigung.“ Martis hat nicht allein die Ruhe liebenden Wassersportler und Anwohner im Blick: „Es geht auch um den Schutz einer halbwegs intakten Naturlandschaft mit ihrer Fauna und Flora.“ Der Partylärm rund um die Uhr sei zudem eine Belastung für die Tierwelt.
Rechts-Tipps auf eigener Website
Im Frühjahr hat IGeL bereits 108 Vereine an beiden Ufern der Unterhavel angeschrieben und für seine Sache geworben. Ende des Jahres will die Initiative eine eigene Website freischalten. Dort werden rechtliche Grundlagen und Hilfestellung zu Beschwerden abrufbar sein, eine Möglichkeit zum Uploaden von Vorlagen und natürlich einer weiteren Vernetzung.
Dann, hofft Martis, werden noch mehr Menschen auf sie aufmerksam. „Wir müssen uns Gehör verschaffen, auf die Durchsetzung bestehender Gesetze und Verordnungen dringen und uns für zusätzliche gesetzliche Regelungen einsetzen.“ In den Berliner Online-Foren ist Lärm auf Wannsee und Havel bisher kein Thema.
2 Kommentare
Herr Diesing, „nur“ 250 Watt !?!! Und das auf dem Wasser ?!??
Schall wird durch das Wasser um ein Mehrfaches verstärkt. Tiefe Töne/Bässe werden weitergetragen als hohe Töne.
Über dem Wasser kann sich der Schall weitgehend ungehindert ausbreiten.
Lärmbelästigung auf dem Wasser betrifft daher eine deutlich größere Fläche als an Land.
Die Kehrseite vom Spaß einiger Feiernder am und auf dem Wasser ist also: Gaaaanz viele andere werden genötigt „mitzufeiern“ – weit übers Wasser hinweg, tief ins Land hinein.
Kristjane Martis
IGeL Initiative Gewässer-Lärmschutz
Prima Artikel, danke Herr Wildberg!
Ein paar genannte Aussagen, speziell die jenes „Achim Diesing“, erscheinen mir jedoch „etwas“ zweifelhaft – siehe hier: https://seglerblog.stössenseer.de/wie-viel-party-vertraegt-der-see/
MfG