Eigentlich sah das Abenteuer La Voie du Pole von Beginn an ein wenig gewagt aus. Wie will man mit einem kleinen Katamaran zum nördlichsten Punkt unseres Planeten gelangen? Auch wenn es immer mal wieder größere, freie, segelbare Wasserflächen gibt, so überwiegen doch riesige Eis-Ebenen, chaotisch ineinander gekeilte Eisschollen, die von unberechenbaren Strömungen mitunter haushoch gestapelt werden.
Kein Problem, sagten sich die drei französischen Abenteuersegler Sebastien Roubinet, Vincent Colliard, Eric André und konstruierten eine Art Hybrid-Segler, mit dem man übers Eis genauso segeln kann wie auf dem Wasser. Und wenn sich Barrieren in den Weg stellen sollten, schiebt und zieht man den Segelschlitten-Katamaran einfach drüber weg oder macht eben einen Umweg. Gut ausgerüstet brachen die drei am 20. Juni von Alaska Richtung Nordpol auf. Der Plan war, nach Erreichen des Pols das Abenteuer in Spitzbergen zu beenden. Doch es kam anders.

Den Nordpol nicht erreicht
Sie schafften es nicht, den Pol zu erreichen. Schon SUP-Profipaddler Michael Walther hatte diesen Sommer per SUP-Board an der Eisgrenze die Unberechenbarkeit der Naturgewalten im Polarkreis kennengelernt. Der arktische Winter nahte in riesigen Schritten, und noch nicht mal ein Drittel der Wegstrecke war geschafft. Sie bogen ab und gaben ihr Ziel auf. Aber man sollte die Expedition La Voie du Pole nicht am Erreichen des gesetzten Ziels messen. Sondern daran, dass sich drei erfahrene Abenteurer überhaupt an ein solches Projekt heranwagten.
Und jahrelange Feierabend-Arbeit, hartes Training und nicht zuletzt eine Menge Geld in die Hand nahmen, um sich diesen einen Traum zu erfüllen: Mit einem Katamaran zum Nordpol über offenes Wasser und auf meterdickem Eis zu segeln oder über Eisbarrieren zu wuchten.

Und was gab es nicht alles zum Mitfiebern: Einsame Eisbären, die mal eben schnell am Kat bei den Männern vorbeischauten. Oder ganze Eisbärfamilien, die schwimmend von den Seglern überholt wurden. Tage- und wochenlange Wartezeiten auf günstige Strömungen, die riesige Eisbarrieren zur Seite schieben sollten. Extreme Kälte und faszinierende Sommernächte, große Emotionen und viel Wehmut, als klar wurde, dass die drei Nordpol-Abenteurer es nicht zu ihrem Ziel schaffen würden.
Nordlichter, Bären, Beluga-Wale
Wir haben mit Sebastien Roubinet, dem Initiator, Vordenker und Leiter dieser Expedition, nach seiner Rückkehr noch im hohen Norden gesprochen:
float: Sebastien, ihr habt hohe Breiten und extreme Kälte überstanden. Seid ihr gut genug ausgerüstet gewesen, oder gab es zwischendurch Probleme?
Sebastien Roubinet: Wir waren relativ gut bekleidet, obwohl es noch keine Serien-Ausrüstung für diese Art von Expeditionen gibt. Wir waren in Trockenanzügen und in Neopren-Stiefeln unterwegs. Das große Problem war, dass wir durch den häufigen Wasserkontakt und durch heftiges Schwitzen (beim Schieben und Wuchten, die Red.) im Prinzip innen und außen immer nass waren. Saßen wir dann – auf dem Eis oder auf dem Wasser – wieder ruhig im Boot und segelten, kühlte uns der Wind unglaublich schnell aus. Wenn wir dann abends unsere Klamotten trocknen wollten, war das oft die eigentliche Herausforderung.
float: Wie sah es mit der Ernährung aus? Es ist doch bestimmt schwierig, bei so einem enormen Kalorienverbrauch die notwendige Nahrung für einen langen Zeitraum unter extremen Bedingungen richtig einzuschätzen?
Sebastien Roubinet: Wir hatten für mehr als 100 Tage ausreichend Nahrung dabei. Morgens aßen wir Haferflocken mit Körnern und Öl. Während des Tages bediente sich jeder aus seinem gut gefüllten Beutel mit Nüssen, Trockenfrüchten und Schokolade. Und abends aßen wir immer eine „große“ Mahlzeit: Ein warmes gefriergetrocknetes Essen, das meine Partnerin gemeinsam mit professionellen Ernährungsberatern schon vor Wochen gekocht hatte. Ehrlich gesagt, war das oft der absolute Höhepunkt des Tages. Was die Energiezufuhr anbelangt, waren wir richtig gut „dabei“: Keiner von uns hat während der Expedition Gewicht verloren!
float: Wie lief es menschlich zwischen euch ab? Hat es mal richtig gekracht?
Sebastien Roubinet: Meine Auswahl der Teamkollegen basierte zu einem großen Teil auf zwischenmenschlichen Aspekten, was bei dieser Art von Expedition sehr wichtig ist. Die Atmosphäre an Bord war immer sehr gut. Es gab keine Konflikte und nur echten Zusammenhalt. Und wir haben immer auf den anderen geachtet.
float: Welches waren die stärksten Momente während der Expedition?
Sebastien Roubinet: Davon gab es reichlich! Tolle Gleitfahrten auf dem Wasser oder auf dem Eis, die Nordlichter, Bären, Beluga-Wale… Der härteste Moment war, als wir die Nacht auf einer Eisfläche verbrachten, die sich langsam durch Dünung und starken Wind löste. Wir mussten mitten in der Nacht die Scholle verlassen und das Boot zwischen tonnenschwere Eisblöcke wuchten, die sich ebenfalls bewegten und zu kentern drohten. Um aus dieser Situation herauszukommen, mussten wir unsere ganze Erfahrung und einige Tricks ins Spiel bringen. Das war ziemlich haarig.
float: Was hattet ihr ganz und gar nicht erwartet?
Sebastien Roubinet: In der eben beschriebenen Situation: Dass sich das meterdicke Eis mit der Dünung und Strömung so schnell lösen kann, obwohl wir noch 20 Seemeilen vom Packeis-Rand entfernt waren.

float: Und die Begegnungen mit der Tierwelt? War das wirklich alles so gefährlich mit den Eisbären?
Sebastien Roubinet: Wir haben Beluga-Wale und Narwale gesehen, Seehunde und sechs Eisbären. Eines Abends näherte sich ein Bär dem Boot bis auf zweieinhalb Meter. Wir mussten ihn mit Pfefferspray vertreiben. Die anderen haben Abstand gehalten und sind meistens gleich nach Sichtung wieder ihres Weges getrottet.
float: Last, not least: Die größte Herausforderung war bestimmt das Schieben und Ziehen des Bootes über weite Strecken? Welche Schwierigkeiten mussten Sie da im buchstäblichen Sinne überwinden?
Sebastien Roubinet: Schon kurz nach dem Start sahen wir uns einer schier unüberwindbaren Kompressionszone im Packeis gegenüber. Da waren enorme, sechs bis acht Meter hohe Zacken. Wir mussten mit Seilzügen und Hebewerkzeugen den Katamaran rüberwuchten. Danach gab es Streckenabschnitte mit kleinen, festen Eisbrocken, auf denen wir kaum Halt hatten, um den Kat zu schieben oder zu ziehen, wenn kein Wind war. Im Endeffekt haben wir auf den ersten 60 Seemeilen unserer Expedition die Hälfte mit Hilfe von Seilzügen bewältigt.
float: Sebastien, werden Sie noch einen Versuch dieser Art in Richtung Nordpol wagen?
Sebastien Roubinet: Ich werde La voie du Pole Nord, also den Weg zum Nordpol, so nicht mehr in Angriff nehmen. Aber ich werde andere Projekte in der Arktis realisieren.
float: Sebastien, merci für dieses Gespräch. Und viel Glück weiterhin im hohen Norden.

Zum ersten Teil: die Vorbereitungen zur Expedition La Voie du Pole.