Solar-Postschiff summt bis mindestens 2029
Leinen los für weitere fünf Jahre: Das elektrische Paketschifffahrt-Projekt von DHL auf der Berliner Spree ist bis 2029 verlängert worden. Damit kann der Logistikkonzern die Postzustellung auf dem Wasser weiter ausbauen und testen. Das Konzept: Nachhaltige Verkehrsführung soll die Wasserwege mit einschließen, idealerweise mit umweltfreundlichen Antrieben. Bisher ist davon wenig zu sehen, abgesehen von einsamen Leuchtturm-Projekten wie dem Brennstoffzellen-Schubschiff Elektra.
Der Logistikkonzern DHL probiert diesen Ansatz in Berlin nun auf lokaler Ebene aus. Seit Oktober 2022 surrt leise ein Postboot mit Paketen für einige Innenstadtbezirke über die Spree. Das umgebaute Ausflugsschiff ist 10,50 Meter lang und fährt mit Elektroantrieb. Eine Reihe Photovoltaik-Paneele auf dem Dach weist es als „Solarschiff“ aus. Seit Projektstart sind auf diesem (Wasser-)Weg 76.000 Sendungen zugestellt worden.
Bedenkt man, dass DHL allein in Berlin pro Tag 250.000 Pakete zugestellt werden, ist das gelbe Bötchen mit seinen täglich 350 Sendungszustellungen ein netter Versuch. Doch allen, die dahinter ein veritables Greenwashing-Projekt argwöhnten, nimmt die aktuelle Entwicklung den Wind aus den Segeln. Denn das Solarschiff-Projekt wird sogar ausgeweitet. Neben der zeitlichen Verlängerung ist nun auch die erwartete Genehmigung für solarbetriebene Packstationen am Spreeufer gekommen.
Sind die Paketstationen an den jeweiligen Entlade-Anlegern in Betrieb, können DHL-Kunden sich die Schiffspost zu jeder Tag- und Nachtzeit vom Ufer abholen. Die Aufstellung der Automaten erfolgt in enger Abstimmung mit den Behörden. „Wir freuen uns sehr, dass die Berliner Senatsverwaltung uns so stark bei diesem Solarschiff-Projekt unterstützt“, sagt Sven Goerke vom DHL.
Das neue Postschiff soll 40 Meter lang sein
Und: Ein zweites, noch größeres Solar-Paketschiff wird kommen. Der Konzern will noch in diesem Jahr eigens eine zweite Route für Paketbeförderung auf der Spree einrichten. Und dafür bekommt der Zehn-Meter-Kahn Gesellschaft. Ein neues Postschiff soll ihn ergänzen. Wie sein kleiner Vorgänger lässt der Konzern auch den zweiten Paketfrachter aus zweiter Hand beschaffen und umrüsten.
Mit dem Neuzugang wird das Paketschiff-Projekt erwachsen: Das zweite Schiff ist wirklich ein Schiff, es soll etwa 40 Meter lang sein und bis zu 60 Tonnen Ladekapazität haben. Betreiben wird es die Berliner Reederei Solarwaterworld, die selbst mehrere Fahrgastschiffe mit Sonnenenergie unterhält. Louise Ahrens von Solarwaterworld erzählt, auf welch märchenhafte Weise es dazu kam: „Vor einigen Jahren fuhr das DHL-Management auf einem Chartertörn mit unserer Solon.“

Ahrens war mit an Bord des solarbetriebenen Katamarans und bediente die Fahrgäste – auf einem Schiff muss jeder fast alles können. Ein Firmenevent auf dem Wasser, wie Solarwaterworld viele ausrichtet. Da nahm sie eine lebhafte Diskussion unter den Logistikern wahr: Wie kriegt man die Pakete von der Straße? Die Gäste hätten sogar über Straßenbahn-Verladung und ähnliches diskutiert.
„Irgendwann habe ich es tatsächlich nicht mehr ausgehalten“, erzählt Ahrens lächelnd. Sie mischte sich in den Schlagabtausch ein: Wie wäre es denn, wenn man den Transport aufs Wasser verlagerte?
Erster grüner Yachthafen
Wie grün kann ein Hafen sein? Die Rede ist natürlich nicht von Efeu am Werfttor oder Moos am Poller – es geht um echte Nachhaltigkeit. Für Frank Richert von der Citymarina Berlin ist ein grüner Hafen einer, in dem Elektroyachten Strom zapfen, der in eben diesem Hafen über Solarzellen und Windgeneratoren entstanden ist.
Und noch weiter: Wenn zu wenig Wind weht oder keine Sonne scheint, geht der Strom in die umgekehrte Richtung. Aus den Akkus der Yachten in die Stegbeleuchtung oder zur Ladesäule, wo andere Yachten ihn dringender benötigen, weil ihr Törn bald losgeht. Das ist bis jetzt noch elektrische Zukunftsmusik.

Die Citymarina Berlin an der Rummelsburger Bucht will sie als Erste zum Klingen bringen. Sie soll Deutschlands erster energieautarker Yachthafen werden, der seinen Energiebedarf komplett aus erneuerbaren Stromquellen zieht. Das bedeutet: Im Idealfall produziert die Marina so viel Strom selbst, wie für den Hafenbetrieb und die Boote in bis zu 70 Boxen gebraucht wird. Das Vorhaben ist weltweit beispiellos. Bislang gibt es nur ehrgeizige Pläne für solche Anlagen.
Für diesen Anwendungsfall soll der Yachthafen auch als sogenanntes Smart Grid funktionieren: Wird mehr Strom benötigt, als aktuell entsteht, würde die Energie aus den Akkus von festgemachten Elektrobooten entnommen werden. Das wird bidirektionales Laden genannt, der Strom kann ebenso zum Akku fließen wie auch zurück. Umgekehrt bleibt der gewonnene Strom innerhalb der Marina, indem er in den Yacht-Batterien „zwischengeparkt“ wird.
Referenzprojekt Citymarina
„Natürlich ist diese Ausbaustufe noch fern, denn die Elektroboote sind ja noch gar nicht da“, sagt Maria Bouillet, Geschäftsführerin der spezialisierten Unternehmensberatung Bouillet Energy, auf dem ersten Electric Summit. Gemeinsam mit ihrem Partner Harald Hörig will sie die deutsche Bootswelt auf der Landseite elektrifizieren. Die City Marina soll ihr Referenzprojekt werden.

Unterstützung gibt es durch die TU Berlin: Der Fachbereich Entwurf und Betrieb maritimer Systeme mit Professor Gerd Holbach begleitet das Projekt. Holbach ist in der Branche insbesondere bekannt durch das Elektra-Projekt, das weltweit erste Schubschiff mit Brennstoffzellenantrieb. Die gebürtige Schleswigerin ist aktive Wassersportlerin und hat sich mit Bouillet Energy selbstständig gemacht. „Es gab bislang keinen, der die Elektrifizierung der Wassersportbranche angegangen ist“, begründet sie ihre Motivation, das Startup zu gründen.
Hohe Kosten für die elektrische Infrastruktur
Die Aufgabe ist überaus komplex. Es fängt mit großen Mengen Kabel an, die ein Netz von Ladestationen auf den Stegen versorgen. Je nachdem, wie viele Boote gleichzeitig Strom ziehen, muss Kraftwerks-Kapazität vorhanden sein. Die klassischen Landstrom-Anlagen genügen nicht mehr. Maria Bouillet favorisiert Wechselstrom-Ladestationen mit 11 bis 22 kW und dem sogenannten Typ-2-Stecker, wie sie sich flächendeckend bei Elektroautos durchgesetzt haben. Und je mehr Boote Elektroantrieb besitzen, um so höher die Anforderung an die Regelelektronik und die zu generierende Power.
Bei einer Umfrage innerhalb der Branche und unter Wassersportlern äußerten viele Menschen ihre größte Sorge: Dass die Kosten alles Dagewesene übersteigen könnten. Tatsächlich ist der Investitionsbedarf erheblich. Allein für die Verkabelung einer kleineren Marina wie der in Berlin inklusive Trafo ist mehr als eine halbe Million Euro fällig.

Wobei: Auch für den Fall von Unterkapazitäten muss ein grüner Yachthafen vorbereitet sein. „Um das klar zu sagen: Eine komplett autarke Marina wird vorläufig nicht möglich sein, weil zu viel Speicher erforderlich ist“, sagt Frank Richert, Eigentümer der Citymarina. Und Speicher sind derzeit ebenfalls noch sehr teuer. Doch Richert entmutigt das nicht. Seit er die ersten Boote seiner kleinen Charter-Flotte „Spreeboote“ elektrifiziert hat, hält er diesen Weg für den richtigen.
Ein Smart Grid im Kleinen entsteht bereits
Wie soll überhaupt Strom entstehen auf dem Gelände mitten in der deutschen Hauptstadt? Geplant sind über 400 Quadratmeter Solarflächen auf Gebäuden, sogenannte Windzäune – eine neue Entwicklung aus Polen – und Windkraftanlagen auf Gebäudedächern. Damit auch Zaungäste zum Laden einen Platz finden, plant Bouillet Energy eine schwimmende Tankstelle vor dem eigentlichen Hafen. Auf diesem Lade-Ponton sollen ebenfalls Windkraftanlagen und Solarpaneele stehen.

Der patentierte „Floating eHub“ ist das Herzstück der Anlage. Die Industriedesigner Norman Starke und Achim Staude haben es gemeinsam mit Bouillet Energy entwickelt. Er ist modular aufgebaut, kann also je nach Bedarf und Platzangebot größer oder kleiner angelegt werden. Aber ohne weitere Wasserflächen kann der eHub nicht umgesetzt werden. Gespräche zum Ankauf laufen.
Die Preisfrage: Wann wird der ehrgeizige Plan Realität? Man müsse auf jeden Fall Zeit mitbringen. Allein eine Steggenehmigung dauere in Berlin drei Jahre, teilt die Unternehmensberaterin mit. „Was man sagen kann: Die Bootsbranche ist dem Autobereich ungefähr fünfzehn Jahre hinterher.“ Tatsächlich bieten die ersten Werften, zum Beispiel die auf Elektroantrieb spezialisierte schwedische X Shore, ihre Boote mit Typ-2-Stecker an. Doch bis sich dieser Standard auch in Häfen durchgesetzt hat, werden noch Jahre vergehen.
Aber den ersten Schritt geht Richert in Kürze an. Er startet den Testbetrieb in der Citymarina mit einem Mini-Smart Grid: Sein Hausboot „Grace“, das eine ausgedehnte Photovoltaikanlage besitzt, speist seinen überschüssigen Strom bereits ins Hafennetz ein. Über eine elektrische Nabelschnur wird es zukünftig die kleinere „Julia“ mit Energie versorgen. Julia ihrerseits erhält später eine eigene Solaranlage. Ein neuer Netzanschluss für die Marina mit 1.000 kVA ist beantragt. Er kommt mit zwei Trafos, die auch Strom ins Stadtnetz abgeben könnten. Parallel dazu werden weitere Spreeboote elektrifiziert.
Um Forschung und Entwicklung zu forcieren, ist Bouillet Energy dem Innovationsnetzwerk ZeSys beigetreten. Auch beim zweiten Electric Summit brachte sich Maria Bouillet wieder ein. Der elektrische Fortschritt bewegt sich zwar nicht in Blitzgeschwindigkeit, aber er geht unbeirrt voran. „Es geht immer um Wachstum“, fasst Frank Richert zusammen. Und: „Wir müssen losgehen, damit andere folgen.“
Dieser Text erschien am 26. Juni 2023 erstmals auf float. Aktualisiert am 06. Dezember 2023.