Auferstanden, nicht aus Ruinen, sondern aus einer zündenden Idee: Vor vier Jahren träumten drei Rostocker Bootsbauer davon, einen ausgestorbenen Schiffstypen, die Warnemünder Jolle, wieder zum Leben zu erwecken, ganz ohne Konstruktionsplan.
Andere würden noch heute träumen. Doch Jürgen Opel sowie Paul und Christian Brümmer konnten sechs weitere Freiwillige vom Förderkreis für das Schifffahrtsmuseum Rostock für das Projekt gewinnen. Zunächst wurde umfangreich recherchiert, anschließend in drei Jahren Hand angelegt. Nun ist ein regionales Kulturgut wieder zurück: die Warnemünder Jolle, ein historisches Fischerboot.
Das war natürlich nicht einfach. Die Idee, diesen verschwundenen Bootstyp wieder zu bauen, hatten Jürgen Opel sowie Paul und Christian Brümmer auch nicht als erste. Das Kleeblatt griff die Idee des Warnemünders Klaus Stäcker auf. Stäcker hatte schon länger zu den Warnemünder Jollen umfangreich recherchiert und wollte diesen Bootstyp wiederbeleben.
Dazu ist er leider nicht gekommen, er verstarb zwischenzeitlich. Im Herbst 2016 trafen seine geistigen Erben die Leiterin des Schifffahrtmuseums Rostock Kathrin Möller und den im Museum angestellten Bootsbauer Uwe Ahlgrimm. Einvernehmlich beschlossen sie, das Projekt anzugehen.
Material aus einem Baumstamm
Was da zum Leben erweckt wurde, ist der Nachbau eines speziellen Fischerbootes, das einst für dieses Revier typisch war. Traditionell wird es Tweismaker genannt und sollte eigentlich schon im Mai zu Wasser gelassen werden. Die gegenwärtige Situation hat aber den Stapellauf des historischen Fischerbootes bis Mitte September des Jahres verschoben. Nun aber schwimmt es.
Nach tausenden Arbeitsstunden entstand aus einem acht Meter langen Baumstamm aus Kambala – einem tropischen Hartholz – die knapp 7,50 Meter lange Warnemünder Volljolle. Eine Taufpatin vom Warnemünder Trachtenverein gab dem Boot bei einer zünftigen Zeremonie den Namen „Oll Stromer“.
Die Rekonstruktion war nicht einfach: Es gab, wie float auf Nachfrage erfuhr, weder alte Pläne noch irgendwelche Vorlagen. Man orientierte sich an Handskizzen, historischen Fotos und einigen alten Texten. Ein Glück war es, dass die Initiatoren während der Bauzeit auch noch Augenzeugen kennenlernten. Ironie des Schicksals: Nur ziemlich zuletzt, als bereits alle Planken vernietet waren, bekam man einen richtigen Plan aus einem Garagenfund in Warnemünde.
Wir wollten von Bootsbauer Uwe Ahlgrimm wissen, worin die aus seiner Sicht größten Herausforderungen vor dem Baubeginn bestanden: „Eigentlich war alles eine Herausforderung, da so ein Boot sicherlich 80 oder 90 Jahre nicht mehr gebaut wurde.“ Zunächst musste aber die Finanzierung stehen. „Das Projekt ist ja zu zirka 90 Prozent privat finanziert. Die große Unterstützung Rostocker Unternehmen und auch privater Spender hat das Projekt erst möglich gemacht“, so Ahlgrimm.
Was bedeutet der Name?
„Namensvorschläge haben wir aus ganz Rostock bekommen“, sagt der Bootsbauer. Einerseits weist der Name auf den Alten Strom in Warnemünde hin – den ursprünglichen Mündungsstrom der Warnow, heute ein stiller Altarm. Der plattdeutsche Ausdruck Oll Stromer kann aber auch als „alter Rumtreiber“ übersetzt werden. Ahlgrimm erwähnt es nicht ohne ein kleines Augenzwinkern – das passe ein bisschen zu „uns alten Herren“.
„Und der Name passt so auch gut zu unseren ersten Booten in der kleinen Flotte“, fährt er fort. Die kleine Flotte sind „Dwarskopp“ und „Querkopf“, ein Usedomer Heuer, beide ebenfalls historische, hölzerne Fischereiboote.
Als liebevolle, traditionelle Bootsbaukunst verehren es die einen. Die anderen (die selbst zupacken) nehmen es als aufwändige, teilweise schweißtreibende Handarbeit wahr. So mussten zum Bau des Stromers 56 Spanten gekocht werden, ehe man sie biegen und an die Rumpfplanken anpassen konnte. Und dann hieß es nieten, um eine schwer zu lösende, möglichst dauerhafte Verbindung der Spanten und Planken des historischen Fischerbootes zu schaffen.
Rund 1.600 Kupfernieten sind in die 18 Planken eingeschlagen worden – jedes Niet zunächst bis zu seinem Setzkopf. Anschließend wird durch Anschlagen eines Schließkopfes und Gegenhalten auf der anderen Seite die endgültige Verbindung hergestellt. Eine mühevolle, extrem laute Handarbeit, die nur zu zweit durchgeführt werden kann.
Darum heißt er Tweismaker
Die Bezeichnung der Jolle „Tweismaker“ resultiert aus ihren beiden Sprietsegeln, Smaken genannt. Sie hat also twei (zwei) Smaken. Sprietsegel sind viereckige Segel, die mit einer „Spriet“ genannten Spiere senkrecht gesetzt werden können. Die Spriet ist Teil einer Takelung einfacher Sportboote, z. B. der internationalen Optimistenjolle für Jugendliche (Opti).
Aber auch viele Fischerboots-Typen führten diese einfache Takelung. Beim Oll Stromer sind es zwei 6,50 Meter lange Masten, an denen einschließlich Vorsegel insgesamt 22 Quadratmeter Tuch hängen.
War das Fischen auf der ruhigen Warnow seit dem Mittelalter noch den Rostocker Stadtfischern vorbehalten, blieb den Warnemündern nichts anderes übrig, als vor ihrer Haustür, also auf der Ostsee zu fischen. Das bedeutete, sie mussten sich robustere, seegängige Boote bauen. Und so entstanden zu Beginn des 18. Jahrhunderts die ersten Volljollen. Ihre Hochzeiten hatten die Twei-Smaker Mitte des 19. Jahrhunderts.
Historische Fotos belegen, dass sich so mancher Warnemünder Fischer wohl schon damals ein Zubrot verdient hat, indem er seine Tweismaker mit Badegästen oder Ausflüglern über die Warnow oder die Ostsee schipperte. Zehn Jahre nach Kriegsende verschwand die letzte Warnemünder Volljolle dann von der Bildfläche.
Bereit für die große Fahrt
Neue Fischzüge soll Oll Stromer allerdings nicht unternehmen. Geplant sind dagegen nicht nur Fahrten auf der Warnow und dem Alten Strom in Warnemünde, sondern auch Ausflüge im küstennahen südlich gelegenen Ostseeraum. Fuhr man früher in der Regel zu dritt auf einem Tweismaker, werden heute zwei Crewmitglieder das Boot führen. Dazu ist Platz für sechs weitere Gäste an Bord.
Mittlerweile hat das Boot seine Jungfernfahrt unter Segeln hinter sich. Laut Hans Rieck, der dabei die Pinne geführt hat, folgte Oll Stromer recht ausgeglichen seinen Ruderkommandos. Luv- oder Leegierigkeit, so sein Resümee, war nicht vorhanden. Das Boot kam gut mit dem Bug durch den Wind und die Geschwindigkeit lag bei vier bis fünf Knoten bei relativ leichtem Wind. Mehr war nicht zu erwarten.
Vier Bootsführer stehen derzeit zur Verfügung: Neben Hans Rieck und dem Bootsbauer Uwe Ahlgrimm sind das Michael Mahler und Werner Iffländer. Alle sind im Besitz unterschiedlicher Segelscheine und Segelerfahrung. Ahlgrimm zum Beispiel hat schon vor 46 Jahren mit dem Segeln angefangen. Aber auch alle anderen Ehrenamtler, die an dem Bau beteiligt waren, werden natürlich zur Crew gehören.
Schwimmendes Museum
Wichtig: Das neue alte Schiff hat auch noch einen museumspädagogischen Auftrag. Bereits heute gehören zum Besucherkreis des Rostocker Schifffahrtsmuseums viele Schulklassen, Kindergruppen und Familien aus der Region. Die Initiatoren sind sich sicher, dass die geplanten Fahrten auch ein spannendes Angebot für Schul-Projektfahrten sein könnten.
Das würde die bereits bestehenden Angebote zum Mitmachen in der Historischen Bootswerft sinnvoll ergänzen. Hier gibt es unter anderem eine authentische Schmiede und eine Reeperbahn – traditionell der Arbeitsplatz der Reepschläger, die das Reep (Seil) für Schiffe anfertigten. Wer diese Arbeitsorte besucht hat, dürfte mit großem Interesse wenig später an Bord der Oll Stromer entdecken, wo welches Gewerk am „Projekt Schiff“ mitwirkt.
Ehrenamtliche gesucht
Der Förderkreis für das Schiffbau‐ und Schifffahrtsmuseum in der Hansestadt Rostock e.V. ist übrigens immer auf der Suche nach ehrenamtlich Engagierten, ob nun bevorzugt Takler oder Reepschläger, oder neuen Vereinsmitgliedern. Natürlich auch engagierte (und seefeste) Crewmitglieder für die Volljolle.
Darüber hinaus gibt es in naher Zukunft weitere Projekte in der Historischen Bootswerft. So sind die Restaurierung eines Dinghis und eines Flachbodenkahns geplant. Damit erweitert das Schifffahrtsmuseum Rostock seine hölzerne Flotte aus historischen Fischerbooten.
Ein Kommentar
Wieder ein großartiger Artikel, Herr Krieg!
Es juckt einem nach dem Lesen geradezu in den Fingern, sich für dieses Projekt zu melden.