Am Wochenende kam der Frühling. Es war, als ob einer den Schalter umlegt. Und sofort war die Frage da: Wann kann ich aufs Boot? Ich steige ins Auto und fahre durch die brandenburgischen Wälder raus nach Prieros, dorthin wo im Winter die Schiffe schlafen. Fahre durch den Ort, an der Kirche vorbei, beim Schild rechts und über die kleine Holzbrücke – und stehe vor der Bootswerft Wendisch, einer der größten im Berliner Umland.

Es ist gefühlt ewig her, dass ich im Oktober mit einem Freund seinen wunderschönen alten Stahl-Niederländer herbrachte. Die Bootswerft Wendisch ist ein alteingesessener Betrieb, der schon zu DDR-Zeiten gut lief. Wendisch senior hat seit den Achtzigerjahren Stahlrümpfe gebaut. Mit der Wende brach der Bootsmarkt im Osten zusammen, die Kundschaft wollte damals lieber Fernreisen. Wendisch erweiterte sein Angebot, machte Umbauarbeiten in Stahl, baute ein Winterlager auf, vergrößerte das Gelände und spezialisierte sich auf Lackierungen, die heute das Hauptarbeitsgebiet für den Betrieb darstellen. Elektrik und Motoren hat er ausgelassen, „man kann ja nicht alles machen“, sagt Christian.

Christian, der Junior, ist 42 Jahre alt und stieg schon als Kind in den Betrieb ein. Als es an der Zeit war, einen Beruf zu erlernen, wollte der Sohn in einer Werft in Bremerhaven Bootsbauer werden. Aber der Norden war ihm fremd. Und damit der Junge die Werft später einmal übernehmen kann, machte er die Lehre – generationsübergreifender ging es nicht – gleich beim Vater zu Hause. Nur zur Berufsschule fuhr er nach Travemünde. So lernte er alles, was ein guter Bootsbauer können muss. „Bei uns erkennt der Kunde die Liebe zum Handwerk und merkt, dass man noch selbst Freude an der Arbeit hat“, merkt er mit tiefem brandenburgischen Akzent an.
Die Werft ist super in Schuss. Zwei große, picobello aufgeräumte Plätze und fünf Hallen stehen auf eineinhalb Hektar Fläche. Zusätzlich haben die Wendischs ein kleines Waldstück gekauft und machen im Sommer, wenn nicht viel los ist, Holz. Damit heizen sie im Winter die Hallen, in denen sie arbeiten. Und weil Wendisch auch auf dem Gelände wohnt, kann er abends schnell noch mal ein paar Stücke Holz in den Ofen werfen. Das ist preiswert, praktisch und professionell, denn für die hochwertigen Lackarbeiten, die sie machen, braucht es konstante Temperaturen.

Um das Gelände haben sie einen Zaun und einen Erdwall gebaut, damit Eindringlinge nicht so leicht Zugriff haben. Vandalismus und Diebstahl sind auch hier ein Thema, sogar Untermieter gibt es hin und wieder – und nicht nur welche mit vier Beinen. Darum hat er einen Containerturm auf das Gelände gestellt mit Wachposten, die aufpassen, dass nachts keiner einbricht.
In der Werft arbeiten Vater und Sohn und vier Mitarbeiter, die zusammen frühstücken und Mittag essen. „Bei uns kann jeder seine Geschichten erzählen. Ich möchte nicht fünf Tage die Woche den Chef mimen“, sagt Christian. Seine Haltung zeichnet sich aus: Zwei seiner Mitarbeiter haben vor zehn Jahren im Betrieb gelernt, und sie sind bis heute geblieben.
Im Winterlager ist alles eine Frage des Timings. Weil die Kunden so spät wie möglich ihr Boot abgeben wollen, zieht sich das Einlagern hin bis Ende November. Wenn dann alle Boote aus dem Wasser gekrant sind, stehen auf dem Gelände 250 Boote – 200 im Freilager und 50 in den Hallen. Nach einem ausgeklügelten System steht hier, auf selbstgeschmiedeten Böcken und selbstgebauten Pallen, Boot an Boot wie eine Zeltstadt. Was braucht ein Schiff, um gut über den Winter zu kommen, will ich von Christian wissen. „Man muss dafür sorgen, dass es nicht unnötig schwitzt und Temperaturwechsel vermeiden. Wir schweißen die Boote deshalb nicht ein, sondern bauen ein Gerüst mit verzinkten Rohren drumherum, mit Dachfirst. Darüber legen wir die Planen, hoch genug, damit sich keine Wassersäcke bilden. Auf diese Weise kann die Luft schön zirkulieren, weil auch das Schwitzwasser an der Plane herunterlaufen kann und an der Scheuerleiste abtropft.“
Wenn alle Boote an Land sind, geht die Arbeit in den Hallen weiter: Stahl-, Aluminium-, Holz-, Farb- und Lackierarbeiten, Osmosesanierung und Sandstrahlarbeiten haben sie hier im Programm. Christian Wendisch hat eine Halle gebaut, wo er trockensandstrahlt. „Es gibt ja mehrere Verfahren: Manche schälen die ganze Außenhaut ab, bis sie auf der blanken Matte sind. Der Aufwand, da wieder eine gute Fläche zu spachteln, ist zu groß. Ich bin dazu übergegangen sie trocken zu sandstrahlen. Es ist ein schmaler Grat zwischen ‚taugt nicht‘ und ‚gut gemacht‘, deswegen mache ich das gerne abends alleine. Du darfst nur so viele Schiffe rausheben, wie du wirklich verarbeitest. Ich hebe das Schiff heraus, packe es nach ein paar Tagen komplett in Folie ein und sandstrahle es sofort. Das ist die beste Lösung zur Osemosebeseitigung.“ Sein Ansatz ist es, große und schwere Schiffe im Herbst zu sandstrahlen und zu beschichten und sie dann ins Winterlager zu stellen, damit sie in Ruhe ausgasen können. So entsteht im Frühjahr keine Farbosmose, wenn man die Boote ins Wasser setzt.
In den gut temperierten und ausgeleuchteten Hallen werden die Boote vier bis fünf Mal von Hand lackiert, es kommt auf den Farbton an und wie viele Farbpigmente im Anstrichsystem sind. Fenster nehmen sie am liebsten heraus, dichten sie neu ein und achten darauf, dass die angrenzenden Bereiche gut werden, denn die Übergänge von einem Farbsystem zum anderen können Probleme machen. Bei den Farben achtet Wendisch auf einen hohen Feststoffanteil. Seiner Auffassung nach sollte man die Herstellerangaben lieber über- als unterschreiten und die Anstrichsysteme hygroskopisch dicht auftragen. Die Beschichtung muss so stark sein, dass sie einer Veränderung des Fahrtenreviers standhält. „Ich mache lieber fünf Boote richtig als zehn halb“, sagt Christian Wendisch.

Die vielen unterschiedlichen Bedürfnisse der Kunden zu koordinieren ist eine anspruchsvolle Aufgabe, denn alle wollen ja so bald wie möglich aufs Wasser. Daran bemisst sich letztlich die Qualität eines Winterlagers, weiß Christian aus Erfahrung: „Wenn du alles gut organisiert hast und der Kunde an Ostern Boot fahren kann, dann ist das prima. Wir bringen in der heißen Phase bis zu 20 Boote pro Tag ins Wasser.“ Die Refit-Arbeiten sind inzwischen abgeschlossen. Jetzt wird ausgepackt, poliert, Wasser gebunkert, Diesel getankt – und sobald die Schleusen offen sind, kann’s losgehen.
Das Boot meines Freundes ist heute fertig geworden. Ich werde hoffentlich dabei sein, wenn es ins Wasser kommt. Vor Ostern!
Auf der schön gestalteten Website mit Fotos von Marc Bernot finden sich alle wichtigen Infos:
www.bootswerft-wendisch.de