Wer eine ausgesprochene Land-Phobie entwickelt hat, sollte bei diesen Koordinaten vor Anker gehen: 48° 52 31,75 S, 123° 23 33,07 W. Hier liegt Point Nemo, der am weitesten von jeglichem Land entfernte Punkt der Erde auf halber Strecke zwischen Chile und Neuseeland. Auch die Crews von The Ocean Race mussten in den letzten Tagen diese Stelle passieren.

Festgelegt wurde der Punkt erst 1992 unter Weltraumcomputereinsatz von dem kroatisch-kanadischen Vermessungstechniker Hrovje Lukatela. Bei aller Einmaligkeit, magisch aufgeladen scheint der Punkt nicht zu sein, weder vor noch nach seiner wissenschaftlichen Fixierung. Kein Mythos rangt sich um ihn (wie ums Bermuda-Dreieck), kein Ritual wird hier vollzogen (wie bei der Äquator-Überquerung). Point Nemo ist etwa so magisch wie ein Schießgebiet in der Ostsee.
Selbst ein Meeres-Esoteriker wie Bernard Moitessier, der keine Gelegenheit ausließ, spirituelle Segler gegen schnöde Materialisten auszuspielen, ignorierte bei seinen Törns im südlichen Pazifik diesen Punkt. Er passierte ihn, als er mit seiner Ketsch „Joshua“ an der ersten Einhand-Regatta nonstop um die Welt, dem Golden Globe Race 1968/69, teilnahm.

Zur Legende wurde Bernard Moitessier, weil er das Rennen trotz bester Siegchancen hinwarf. Er wurde vom Favoriten im kommerziellen Spitzensport zum Aussteiger aus der Wettbewerbsgesellschaft. Auf der letzten Etappe der Regatta bog er nicht Richtung Norden ab, sondern ging auf Polynesienkurs und ließ sich für gute zehn Jahre als Selbstversorger auf einer der Inseln nieder.
Die Weltumseglerin Beate Kammler begegnete ihm im Sommer 1972 im Hafen von Papetee: „Es ist ein Schock, ihn nun zu sehen: grauer Bart, graue Haare, tiefe Furchen im Gesicht, eine ausgemergelte Gestalt. … Bernard Moitessier ließ wohl seine Seele irgendwo da draußen, denn obgleich wir mit der Fakirgestalt sprechen, fühlen wir, dass er gar nicht bei uns ist. Seine müden Augen sind weit weg und suchen hinter dem Horizont.“
Nacktyoga
Zweieinhalb Jahre vorher war Moitessier während der Regatta bester Dinge. Wie auf dem jetzigen Ocean Race zeigten sich auch vor 55 Jahren die Roaring Forties ungewöhnlich handzahm: „Joshua befindet sich auf halbem Weg zum Horn [von Kap Leeuwin aus, also im unmittelbaren Dunstkreis des Point Nemo; JJ].
Jetzt sind es schon fünf Tage hintereinander, dass ich vor dem Mittagsbesteck meine Yogaübungen ganz nackt im Cockpit verrichte. Ich spüre die Sonne mich durchdringen und mir ihre Kraft verleihen.“ Beim Ocean Race bleibt keine Zeit für Nackt-Yoga, aber immerhin sitzt man mit blankem Hinterm auf dem Pott – mit was für spirituellen Auswirkungen auch immer.
Moitessier weiter: „Es ist das Leben in seiner Gesamtheit, über das ich nachsinne, die Sonne, die Wolken, das Meer, die Zeit, die vergeht und hier stillzustehen scheint. Und manchmal denke ich auch an jene andere Welt, die ich vor Jahrhunderten verließ, jene moderne, künstliche Welt, in der man aus Menschen Maschinen macht, die nur Geld verdienen, um falsche Bedürfnisse zu befriedigen und falschen Freuden zu frönen.“
Wer das für Hippie-Salbadern hält, bedenke, dass wir uns im Jahr 1969 befinden. „Zurück zur Natur“ und „Neue Sinnlichkeit“ sind frische Schlagworte, Yoga ist noch keine Selbstoptimierung für neoliberale Freelancer und H&M hält sich noch keine Biobaumwoll-T-Shirts als grünes Feigenblatt vor. Und es dauert weitere 23 Jahre bis zur Fixierung von Point Nemo.
2 Kommentare
Mal wieder ein Beitrag, dem ich keinen Kaffee spendiere. Voller Arroganz und Ignoranz. Vielleicht sollte Sie mehr segeln gehen, als Menschen, die tiefer denken als Sie, zu verunglimpfen.
Ahoi Major, für welchen der 1500 kostenfrei auf float lesbaren Beiträge hast Du gespendet?